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Viertes Hauptstück.
des Pausanias über den Tempel der Diana zu Stymphalos: in dem
Plafond der Cella dieses Heiligthums seien auch die styrnphali-
schen Vögel gebildet, es sei aber schwer zu sagen, 0b aus Gyps
oder aus Holz; „mir scheint es aber wahrscheinlicher, dass sie
aus Gyps sind." Er konnte nicht hinzutreten um zu prüfen,
Wäre aber der skulptirte Plafond in seiner Naturfarbe geblieben
so hätte sich ohne Berührung sofort ergeben, aus welchem Stoffe
er bestand. Andere ähnliche Thatsachen, die dem hervorgehobenen
Umstandc das Wort sprechen, werden später angeführt werden.
Wir Modernen können uns schwer vorstellen wie sehr die Alten
die Autorität eines Kunstwerkes von der Magniiicenz der Er-
bauung, den Kosten des dazu genommenen Stoffes und der Schwierig-
keit seiner Bearbeitung abhängig machten, was an sich mit der Ten-
denz der antiken Kunst keinesweges im Widerspruche steht, wie
bereits gezeigt werden ist, was aber allerdings in späterer Zeit
zuweilen in fast kindische Kuriositätenhascherei ausartete. Ohne
diesen Schlüssel ist es weder möglich die alten Kunstwerke zu
verstehen noch den meisten auf Kunstwerke bezüglichen Stellen
alter Autoren ihren richtigen Sinn abzugewinnen.
Es stimmt mit der hervorgehobenen Eigenthümlichkeit antiker
Kunstauffassung überein, wenn Plinius 1 einmal ausdrücklich sagt;
man habe den weissen Marmor zuerst nicht wegen seiner Schön-
heit (lautitiae causa) gewählt, denn diess hätte man noch nicht er-
kannt, sondern wegen seiner Härte. Hieher gehört auch Vitruvs
Bemerkung über den Tempel der Honos und Virtus, der unter
den ersten Bauwerken gezählt hätte, wäre ihm durch Magni-
ficenz und Kostbarkeit (expensis) des Materials eben so viele
Würde zu Theil geworden, wie er durch Kunst sich auszeichnete.
Also nicht die Schönheit und Weisse sondern die Kostbarkeit,
d. i. die Theure, schwierige Bearbeitung und Seltenheit des
Stoffs fallen bei diesem Urtheile ins Gewicht?
Nehmen wir des Plinius Behauptung, man habe die lautitia,
den Reiz, des weissen Marmors bei seiner ersten Benützung noch
nicht erkannt, als gegründet an und verfolgen wir von diesem
Standpunkte aus, so weit es uns gelingen kann, das Wachsthum
des Erkennens der glänzenden Eigenschaften des genannten Bau-
stoffs bei den Alten, und die dem entsprechenden Modiiicationen
1 Plin. H. N. XXXVI.
2 Vitruv. VII. prooem.
Delechamp.)