Volltext: Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst ; mit 125 in den Text gedr. Holzschn. und 15 farb. Tondrucktaf (Bd. 1)

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Viertes Hauptstück. 
in eine kompakte Widerstandsmasse iiberging. (Hypostyl Rham- 
ses II. zu Karnak; Tempel des Khons ebendaselbst.) 
Das Charakteristische dieser Säule, deren Stilgeschichte hier 
in aller Kürze entworfen wurde, ist nun aber, dass ihre ursprüng_ 
liche Rohrumhüllung nicht wie bei der Kelchsäule in Beziehung 
auf das Fungiren der Säule als stützendes Glied neutral und 
indifferent bleibt, vielmehr alle vegetabilischen Linien und Kur- 
ven die sie beleben, den elastischen Widerstand gegen die 
Wucht des Würfels, der auf den abgeflachten Lotosknospen ruht, 
und die Spannung, die daraus hervorgeht, in entsehiedenster Weise 
ausdrücken. Aber der Widerstand der zarten Lotoskelche will 
nicht genügen, und das ästhetische Gefühl beruhigt sich nur 
einigerrnassen durch die Voraussetzung eines solideren Kerns, 
den die Kelche gleichsam nur mitstützend umgeben. Diese 
Form ist somit weder organisch selbständig, weil sie ohne den 
hinzugedachten inneren Pfeiler nicht bestehen kann, noch ist sie 
es in dem Sinne der Emancipation von aller mechanischen Thätig- 
keit, wie bei der Säule mit Kelchkapitäl, die diese Funktion dem 
unbelebten Kerne ungetheilt zuwendet. 
Das pharaonische Aegypten, seinem anorganisch architektoni- 
schen Prinzipe getreu, musste diese Kunstform daher entweder 
ganz fallen lassen oder sie der Spur von organischer Strebsamkeit, 
welche in ihr wohnt, durch das bereits bezeichnete Mittel berau- 
ben, um auf ihrer Umhüllung gleichzeitig ein weites Feld zu 
symbolisch -bildlichen Darstellungen und umfassender Hiefg- 
glyphensehrift zu gewinnenf  
Wie bewusstvoll das oft genannte regime des pharaonischen 
Aegypten das Prinzip der gänzlichen Trennung der Kunstform 
von dem Strukturkerne verfolgte, zeigt sich am klarsten in der 
Weise, wie die Wandstatuen vor die an sich durchaus ungeglie- 
derten und leblosen Pfeiler gestellt werden. Hier ist die Schei- 
dung der beiden Elemente, deren innigstes Ineinanderaufgehen 
die hcllenische Kunst charakterisirt, gleichsam die Trennung des 
Geistes von der Materie, in entschiedenster Weise erreicht.  
Wie jene verpuppten oder mumisirten Säulen mit Knospen- 
1 Die weiteren Säulengattungen Aegyptens werden hier nicht weiter be- 
rücksichtigt. weil sie nur formale, nicht prinziyielle, Unterschiede von den ge- 
nannten bieten, auch meistens der späteren zum Theil ptolemäischen, und 
selbst römischen, Zeit angehören.
	        
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