'I'extile
Kunst.
Äeäyptisehe
Säulenoränungen.
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früheste was Aegypten an Werken der Kunst aufzuweisen hat,
bereits den Uebergang zu dem späteren Stile bezeichnet.
Hier muss ich auf Vorhergegangenes zurückverweisen. Es wurde
gezeigt wie in der westasiatisehen Kunst die sogenannte Ordnung
der Säulen, das heisst die Kunstforrn der stützenden und getra-
genen Theile des Baues, einen vornehmlich technischen Ursprung
hatte; wir hatten sie aus dem Prinzipe der Hohlkörperkonstruktion
abgeleitet, indem in allmäligen Uebergängen die statische Funktion
von dem ursprünglichen Holzkerne auf die umgebende Hülle des-
selben überging. Der Kern ward überflüssig als die metallische
Hülle in sich selbst genügende Kraft zum Stützen und Spannen
gewonnen hatte. Diesen Ilohlkörpertypus behält die Ordnung selbst
nach ihrer Metamorphose in den Steinstil. Ihre Kunstform ist
zugleich aus der Umhüllung und aus der Struktur hervorgegangen;
beide Gegensätze versöhnen sich in ihr. Das Gegentheil davon
ist die Ordnung des pharaonisehen Aegypten; absichtsvolles,
grundsätzliches Scheiden der umhüllenden Kunstform
von der Struktur ist ihr Entstehungsprinzip. Die Struktur,
der ursprüngliche Holzkern ist hier von der Umkleidung sorgsam
getrennt gehalten; diese hat nichts zu tragen, sondern nur zu
bekleiden und zu schmücken, oder vielmehr eine symbolische
Sprache zu sprechen, deren Sinn sich nicht auf das Werk selbst
bezieht, sondern auf dessen Bestimmung und Weihe. Das Motiv
dazu ist ursprünglich und naturwüchsig in gesuchter Weise,
wie alle Motive des pharaonischen Stiles. Es sind die mit Rohr-
stengeln und Papyrosbinsen geschmückten vierkantigen Holzpfähle
der Baldaehine, wie sie bebändert und bckränzt auf zum Theil
sehr alten Darstellungen religiöser Feiern und Pompen häufig
wahrgenommen werdenl und noch in ptolemäischer Zeit ge-
bräuchlich waren, wie wir aus der bereits mitgetheilten Beschrei-
bung des alexandrinischen Festzeltes und der des grossen Nil-
Schiffes wissen. Ueber dem kelehförmigen Kronenbüschel des
oben am Halse der Säule zusammengebundenen Rohres ragt der
steinerne Strukturkern sichtbar heraus und trägt den glatten nur
von Hieroglyphenreihen gezierten Sturz; weil aber die Rohr-
stengel als aufwärts steigende Stäbe eine Art von struktiver
Thätigkeit zulassen hat man später sie mit einem gemalten Tep-
1 Vergl. den Holzschnitt auf Seite 309.
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