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Viertes Hauptstück.
wohl schon gekannt war aber nur zu bestimmten Zwecken gebraucht
wurde. Die meisten eigentlichen Bilder sind flach erhaben oder
nur gemalt. Auch linden sich bereits Statuen aus jener Zeit die
bewegter, naturgetreuer sind und einen besseren künstlerischen
Geist athmen als die des jüngeren Reichs. Im Allgemeinen sind
die Verhältnisse gedrungen, die Gesichter durchaus nicht typisch
gehalten, sondern von fast geistvoller Portraittreue, mit einge-
setzten Augen aus Bergkrystall und Onyx, die durch ihre Natür-
lichkeit und ihr Leben in Erstaunen setzen: Das schönste Exem-
plar statuarischer Kunst aus dieser Zeit, ein sitzender Hiero-
grammateus, gefunden unweit des sogenannten Serapeum oder
der Apisgräber bei Memphis, befindet sich mit andern trefflichen
Skulpturen des alten Reichs in dem ägyptischen Museum des
Louvre. Jene genannte Figur, aus für Acgypten naturtreu näm-
lich ziemlich rothbraun polychromirtem Kalksteine, steht den aegi-
netischen in plastischer Vollendung der Formen wenig nach; in
lebendigem Ausdrucke des Gesichts lässt" sie dieselben weit
hinter sich zurück.
Die Stuckbekleidung der Mauern und aller aus Stein und Terra-
kotta ausgeführten Gegenstände und der davon unzertrennliche
polychromatische Schmuck ist eine Sitte die niemals in Aegypten
ganz abgeschafft aber im alten Reiche bis zu den Grenzen des
neuen hinab in entschiedenster Weise gehandhabt wurde. Beispiel
der berühmte in Stuck ausgeführte königliche Stammbaum Thot-
mes III. aus dem hinteren Anbau dieses Königes zu Karnak. 1
In allen Gräbern bis tief in die Pharaonenzeit hinunter zeigt
sich in der Wanddekoration die Erinnerung an das Urmotiv was
ihr zum Grunde liegt, nämlich an die Auskleidung der Wand
mit gestickter Tapete. Die einzelnen Bilder sind umrändert,
mit Borten versehen, gleichsam an die Mauer angeheftet, nicht,
wie später, mit dieser identificirt. Der Tempellapidarstil, die
Versteinerung des alten Motivs und die Metamorphose der bild-
nerischen Darstellung in Mauerschrift findet in den Gräbergrotten
nur langsamen Eingang, und wie es scheint beschränkte sich
dieser Einfluss des herrschend gewordenen theokratischen Hiero-
glyphenstils selbst in später Zeit auf die Gräber der Könige
und der Mitglieder des königlichen Hauses, deren Darstellungen
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