Volltext: Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst ; mit 125 in den Text gedr. Holzschn. und 15 farb. Tondrucktaf (Bd. 1)

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Vierte! Hauptstück. 
westasiatischen nahe verwandt gewesen sein mochte. Die ältesten 
und massenhaftesten Monumente der Erde, die Pyramiden Nieder- 
Aegyptens, bezeichnen an der Grenzscheide der Menschengeschichte 
gleichsam den Uebergang von dem ältesten feudal-kriegerisch ge- 
stalteten Staate zu der darauf gepflanzten hierarchischen Landen- 
aristokratie mit ihrer Lapidargeschichte. Sie tragen noch die 
deutlichen Spuren des älteren regime und sind mit den sie um- 
gebenden, zum Theil gleichzeitigen, Gräbern und Denkmälern 
in der That in Manchem "diesem fast mehr zuzurechnen als dem 
pharaonischen Aegypten. 
Sie sprechen noch eine andere Sprache zu uns als jene Tempel- 
paläste Thebens, eine Sprache von der die jüngere nur einen 
Theil ihrer Typen entnahm, soweit sie mit dem neuen Prinzipe 
nicht in Widerspruch standen. Wir erkennen diess deutlich, ob- 
gleich jene ältere Sprache an den Monumenten der Pyramiden- 
könige schon in der Metamorphose begriffen ist und diese Monu- 
mente wie der Thurm von Babel gleichsam in die Zeit der 
Sprachverwirrung fallen. 
Das eigentliche Volksleben Aegyptens behielt sogar bis auf 
spätere Zeiten, wo es nicht von priesterlich-bureaukratischer Be- 
vormundung zu sehr beengt war, eine der freien Kunst günstigere 
Tendenz bei; diess beweisen die Gräbergrotten mit ihren zum 
Theil anmuthigen, erzählend unbefangenen, Bildern aus dem Volks- 
und Familienleben, Diess musste freilich mit fortschreitendem 
Wachsen des neuen regime allmälig auch hier verschwinden und 
dem hieratischen Stile unterliegen. 
Zugleich sind diese Gräber mit ihrem unerschöpflichen Inhalte 
an Geräthen, Schmuckgegenständen und sonstigen wohlerhaltenen 
Produkten des Kunstfieisses die wichtigsten Quellen für das Stu- 
dium des inneren und wahren Volkscharakters, dessen lebens- 
frisches Antlitz himmelweit absticht von der äusseren Maske des 
offiziellen königlichen Aegypten. 
Was die ägyptischen Werke noch besonders auszeichnet ist 
ihre vortreffliche Erhaltung. Alle andern Ueberreste des Alter- 
thumes sind nur Skelette oder nach Umständen fossile farb- 
lose Gehäuse verstorbener Gesellschaftsorganismen die einst 
in ihnen lebten, aber das alte Aegypten hat sich in seinen mehr- 
fachen Metamorphosen durch die Monumente gleichsam als Mumie 
erhalten; alles, Fleisch, Farbe, selbst die bekleidende Ausstattung
	        
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