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viertes
Hauptstück.
Aus dem Gesagten geht hervor, was sich übrigens an der
ganz analogen Stellung die der Stein verglichen mit anderen
Stoffen in der Stilgesehichte der Skulptur einnimmt bestätigt,
dass jene assyrischen Alabastertafeln auch in architektonischem
Betrachte Spätgeburten des Stiles sind. Die Ordnung erheischt
daher die vorherige Berücksichtigung dessen, was vor jenen stei-
nernen Wandpannälen da War und gleichsam von diesen an den un-
teren Theilen der Wand versteckt wird. Wir müs s e n u ns i-n der
That jenes ganze reiche Bekleidungswerk des unteren
Thciles der assyrischen Mauern, mit Einschlussjener
grossartigen Bukentauren, Sphignxe, Greifen und Lö-
wen, der riesigen Hüter des Eingangs zu der Königs-
burg, als gar nicht struktiv mit dem Werke verbun-
den denken, ja sogar der räumliche Begriff ist nicht zunächst
durch sie ausgedrückt; derselbe fand vielmehr seinen Ausdruck
sie seien faktisch aus einem Provisorium, das ihnen voranging, entsprossen.
Nichts wäre falscher als diese Annahme! Die Kunst hatte vielmehr das ge-
mischte und komponirte Motiv bereits adoptirt und sich vollständig zu eigen
gemacht. Jedes neue Werk war in der Conception ein zusammengesetztes
Produkt der Zeiten. Diese Verwahrung dehne iuh auf alle ähnlichen lrlälle
aus die noch vorkommen werden, vorzüglich auf dasjenige was über die
Genesis des ägyptischen Stiles_gesagt werden wird. Indessen kann ich doch
nicht umhin, darauf aufmerksam zu machen, wie unter den wenigen Ent-
deekungen die auf dem Felde assyrischer Kunst gemacht wurden, uns wenig-
stens eine die faktisch eingetretene spätere Bekleidung eines älteren bereits
fertigen Monnmentes mit Alabasterplatten vor Augen stellt, ich meine den von
Layard entdeckten Siidwestpalast von Nimrud, der zerstört wurde wie man
gerade damit umging seine Wände mit solchen Tafeln zu bekleiden welche
einem älteren Monumente entnommen worden waren, die man aber verkehrt
versetzte, um auf der glatten Hinteriiäche neue Skulpturen auszuführen. Dieses
Beispiel belehrt uns über das bei diesen Skulpturbekleidungen beobachtete
technische Verfahren, das ihrer stilhistorischen Entstehung entspricht und
mahnt uns zugleich zur Vorsicht in der Beurtheilung des Alters der Monu-
mente nach den Gegenständen ihrer Skulpturen und den Inschriften die sie
enthalten. Ich meine, es sei hierauf bisher nicht genug geachtet worden, und
halte die Inschriften auf" den Konstruktionsziegeln, wo sie sich vorfinden,
für zuverlässigere Zeugen des Alters der Monumente als jene Skulpturen, ob-
schon auch diese insofern täuschen, weil sie auch sliäteren Reparaturen und
Erweiterungen eines viel älteren Monumentes angehören können. Ein aus
Luftziegeln bestehendes Bauwerk und selbst ein solches aus Backsteinen musste
ohne derartige Reparaturen bald verfallen.