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Realität durch die Regelmässigkeit periodischer Ranmes- und Zeitfolgen
hindurchblickt, im Kranze, in der Perlenschnur, im Schnörkel, im Reigen-
tauze, in den rhythmischen Lauten womit der Reigentanz begleitet wird,
im 'l'akte des Ruders, u. s. w. wiederzufinden. Diesen Anfängen sind
und die entwachsen, die beiden höchsten rein
ikosmisvchen (nicht imitativen) Künste, deren legislatorischen Rückhalt
keine andre Kunst entbehren kann.
Aber jenen allgemeinen Naturphänomenen mit ihren erhabenen
Schrecken, mit ihren sinnverwirrenden Reizen, mit ihrer unfassbaren
Gesetzlichkeit treten noch thätigere Momente hinzu, die unser Gemüth
spannen und es für die Illusionen der Kunst empfänglich machen.
Ein endloser Kampf, ein furchtbares Gesetz des Stärkeren, wonach
einer den andern frisst, um wieder gefressen zu werden, geht zwar durch
die gesammte Natur hindurch, manifestirt sich aber in seiner ganzen
Grausamkeit und Härte in der uns zunächst stehenden Thierwelt, bildet
den Inhalt unserer eigenen irdischen Existenz und denjenigen der Ge-
schichte. Diesem endlosen Vertilgungsprocesse durch das Leben fehlt
der Abschluss und die Tendenz, das Gemüth, wechselnd zwischen Has
und Mitleid, betäubt sich über den trostlosen Satz: Das Einzelne ist
geschaffen nur um dem Ganzen als Nahrung zu dienen.
Dazu tritt das Zufällige, Ungereimte, Absurde, das uns auf jedem
Schritte der irdischen Bahn begegnet, und dem Gesetze, das wir belauscht
zu haben glaubten, schnöde in das Antlitz schlägt. Dann die tiefe uner-
gründliche sturmbewegte eigne Gemüthswelt, Chöre der Leidenschaft im
Kampfe unter sich und mit Schicksal, Zufall, Sitte, Gesetz; Phantßsiß im
Gegensatz der Realität, Narrheit im Widerspruche mit sich selbst und
dem All, nichts als Zerwürfnisse, denen uns die Künste, indem sie diese
Kämpfe und Konflikte abschliessen, im engen Rahmen fassen und als
Momente endlicher Sühne benützen, für Augenblicke entrcissen. Aus
diesen Stimmungen gingen die lyrisch-subjektiven und die dramatischen
Kunstmanifestationen hervor. '
lDie Kunst hat somit gleiches Ziel mit der Religion, nämligh Eng.
hebung aus den Unvoilkornmenheiten des Daseins, Vergessen der irdischen
Leiden und Kämpfe im Hinblick auf Vollkommenes. Aber beide bilden Go-
gensätze darin, dass der Glaube durch das Mysterium des Wunders sich in
das Unbegreifliche, mithin Gestaitlose, versenkt, die Kunst dagegen dem Gestalt-
losen Form gibt und selbst das Wunder in Kunstwerken naturgemäß ja noth-
wendig erscheinen lässt. Eben so ist auch des Wissens Trieb und der Drang
nach Wahrheit eine dritteflforln des gleichen Strebens nach Vollkum.
menheit. Aber hier ist das endliche Ziel ein unerreichbares. das Reich des.
Unbekannten steht zu dem Kreise des Erforschten in einem Gegensatz, der