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Kunst,
Indien.
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frisch von der Natur weg, ihre Kunst hub erst mit dem Stein-
tempel an. In dem griechischen Tempelstile ist das Grundmotiv
nur für die Gesammtideen von Wichtigkeit, sofern das rohe
Werkschema, der einfachste Ausdruck des Konstruktionsprin-
zipes, was zu befolgen War, in ihm liegt, aber die Kunstform
beginnt erst sich zu bilden mit dem Steinbau. Anders bei den
Hindu; bei ihnen ist die Kunst lange vorher fertig, ehe der
Felsenbau ja selbst ehe der Quaderbau geübt wird, welcher letz-
tere keineswegs auf den Monolithenbau folgt, sondern diesen vor-
bereitet. Die bereits fertige Kunstform hat schon verschiedene
Stoffwechsel durchgemacht, ehe sie in monolither Weise sich aus-
spricht. Beweis selbst für die monolithen Pagoden der Etagen-
bau, das Pilasterwesen, die Gliederungen in Form verkrüppelter
chinesischer Dächer und vieles andere.
Noch deutlicher zeigt sich dieses an vielen Quadermonumenten,
Wie z. B. an dem ganz im Geiste eines vollständig durehgebil-
deten Holzbaues ausgeführten Steintempel zu Deo in Behar. 1
Ich gehe noch um ein Bedeutendes weiter und erkenne dem
Bildhauer nicht einmal das Verdienst zu, jene Umbildung des
Holzstiles in den Monolithenstil, wie er nun einmal fertig an
jenen Pagoden sich zeigt, unmittelbar hervorgerufen zu haben
und der eigentliche Urheber jener charakteristischen Ueberfülle
an bildnerischer Ausstattung, die sie auszeichnet, zu sein.
Es ist nämlich der Analogie mit den Anfängen anderer Stile
ganz entgegen dass dieser Reichthum erst von ihm ausgegangen
sein sollte, er musste viel früher bestanden haben ehe er in {dem
festen Steine schwierige Nachahmung fand. Das stoffliche Medium
das diesen figürlichen und schwülstigen Reichthum begünstigte
und entstehen half musste ein ganz verschiedenes sein, ganz die
entgegengesetzten Eigenschaften des Steins haben.
Dieses lehrt uns gleichsam schon der gesunde Menschenver-
stand, und die Beobachtung bestätigt es bis zur Evidenz.
Das Medium was ich voraussetzte ist seit den undenklichsten
Zeiten einer der wichtigsten Agentien der indischen, ja überhaupt
der orientalischen Baukunst und Bildnerei, ich meine den Stuck.
Und hier stehen wir wieder mitten in unserem Thema über
1 Daniell II. Tab. 6 und 16. Es ist auffallend, dass in der Silpa. Sastra
der Zimmermann neben dem Architekten die wichtigste Stelle einnimmt, aber
des Steinhauers nirgend Erwähnung geschieht.