Volltext: Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst ; mit 125 in den Text gedr. Holzschn. und 15 farb. Tondrucktaf (Bd. 1)

Textile 
Kunst, 
Stoffe. 
Seide. 
149 
Der erste Grieche, der der Seidenraupe erwähnt, ist Aristoteles. 
Seine Beschreibung der Seidenzueht bezieht sich aber auf eine 
besondere Seidenindustrie, die sich auf der Insel Kos etablirt 
hatte und wahrscheinlich darin bestand, dass schwere halbseidene 
orientalische Gewebe wieder aufgetrennt und die seidenen Ketten 
oder die seidenen Einschläge mit Hinweglassung der baumwolle- 
nen Zuthat wieder neu zu sehr leichten und durchsichtigen Stoffen 
verweht wurden. So wenigstens versteht Plinius den an sich 
dunklen Passus des Aristoteles. 1 
Die von Salmasius und Heeren bekämpfte Deutung, die Pli- 
nius der Aristotelischen Notiz über das koische Fabrikat gibt, hat 
für mich grosse Wahrscheinlichkeit, weil es ganz in dem Wesen 
der Griechinnen liegen musste, den barbarischen Stoff mit seinen 
ihm eigenthümlichen Vorzügen von einer ganz anderen Seite auf- 
zufassen, als dieses bei den die prunkende Fülle und die Ver- 
hüllung liebenden Orientalen geschah. Der bunte, gleissende 
1 Aristot. H. Nat. V. 19. Plinius XI. 22. 
In Beziehung auf diese durchsichtigen klassischen Seidenstofe, vergl. 
noch Plinius H. M. VI. 17: 
"Die Chinesen sind, so viel man weiss, die Erfinder der Seidenmanufak- 
,.,tur    woher unseren Frauen die doppelte Arbeit erwächst, die Fäden zu 
nentwirren und neu zu verweben (redordiendi tila rursumque texendi). Mit so 
"verwickelter Arbeit, von so entfernter Weltgegend, gewinnen unsere Damen 
"das Vorrecht, öffentlich nackt erscheinen zu können. (Tam multiplici opere. 
..tam longinquo orbe petitur, ut in publico Matrona traluceatJ" Im Periplus 
des Arrianus wird das 1117440: sqgtuöv d. h. das Seidene Garn erwähnt. Ich 
lasse es dahin gestellt, 0b Plinius in dem oben angeführten Satze sagen wolle, 
dass die Chinesischen schon gewebten Stoffe wieder entwirrt wurden, oder 
ob er nur an gezwirnte Rohseide denke, die von China herüberkam und im 
Westen wieder abgezwirnt werden musste, um daraus die feinen durchsichti- 
gen Stoffe zu bereiten. Am unwahrscheinlichsten ist die Annahme, dass die 
Chinesen die rohen Cocons des Seidenwurmes als Handelsartikel exportirt 
hätten, und dass Plinius diese Cocons für Produkte einer besonderen Industrie 
der Chinesen gehalten habe. Den beiden letzteren Annahmen widerspricht 
entschieden das rursumque texendi des Autors.  Schon Varro und PubliuS 
Syrus hatten lange vor Plinius über die toga. vitrea, den ventus textilis und 
die nebula linea gescherzt. Vergl. Salmasius ad Scrpt. Hist. Aug. an ver- 
schiedenen Orten, der alle auf die textilen Künste der Alten bezüglichen Stellen 
gesammelt und sehr gelehrt kommentirt hat. 
Auf die im Texte angedeutete Weise, die chinesischen Seidenstode umzu- 
wirken, bezieht sich auch folgende Stelle des Lukan: 
Candida Sidonio perlucent pectora iilo 
Quod Nilotis acus percussum pectine Serüm 
Solvit. (Pharsal. X. 141.)
	        
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