140
Viertes
Hauptstück.
nichts anderes bedeuten, als jene feinsten Wollgewebe Indiens,
in welchen der hier besprochene Rohstoff in seiner raffinirtesten
technisch-stilistischen Durchbildung hervortritt.
Den Hellenen in der höchsten Kulturperiode war die Wolle
der beliebteste Kleidungsstoff. Der volle Faltenwurf der Wolle
trat an die Stelle der gekniffenen und welligen Linnenzeuge und
Baumwollengespinne (vestes undulatae). Der ionische althelleni-
sehe Chiton (das Unterkleid) war Leinen, der dorische Welle.
Diese Wahl des zur Selbsterkenntniss gcdiehenen Hellenen ist für
die Stilfrage, so weit sie sich an den rohen Faserstoff knüpft,
von höchstem Interesse. Der griechische Wollstoff war einfach,
ungewürfclt, ungemustert und nicht haarig befranst, wie das assy-
rische Xlowiölov; er war ganz und allein darauf berechnet, den
schönsten, feinsten und vollsten Faltenwurf zu geben, dessen Ent-
wicklung durch kein Muster und kein breites Fransenwerk gestört
werden durfte. Der Grad der Starke des Gewebes, die Feinheit
des Stoffes und dessen Farbe wurde so gewählt, wie sie für das
Geschlecht, die Grösse, den Charakter des damit zu Bekleidendcn
am passendsten schien, denn die Hausfabi-ikation der Gewebe
und Kleider wurde bei den Griechen stets in Ehren gehalten und
gepflegt. Es liessen sich dafür aus den Autoren ganze Haufen
von Citaten anführen. Erst nach der Alexanderzeit kam asiati-
scher Luxus und ein der Wolle ungünstigeres Prinzip der Mode
wieder auf, das früher, vor der Zeit der höchsten Entwicklung
des Hellenenthumes besonders bei den ionischen Stämmen schon
einmal geherrscht hatte. Der bei den Tragödien verwandte
heroische Prunk hatte wohl schon früher das Seinige zu diesem
Umschlage der Trachten beigetragen.
Bei den Römern, die noch in den früheren Zeiten sich nach
Art der Schäfer der heutigen römischen Campagna zum Theil
mit Schaafsfliesen bekleideten, wurde griechischer Geschmack der
Kleidertracht frühzeitig eingeführt, doch verblieb eine Beimischung
des Barbarischen, die sich schon in der zu sehr hervortretenden
und schwerfälligcn Draperie kund gibt. Diesem schwerfalligeren
Stile gemäss, wurde statt der leichten Wollenzeuge der Griechen
für die Ueberwürfe eine Art von Filz genommen. Die Wollen-
gewebe wurden nämlich durch die Fulloncs gewalkt und iilzartig
verdichtet. Später wurde auch hier wieder alles asiatisch und
die Wolle zum Theil durch Seide ersetzt.