Alle ästhetischen Eigenschaften des Formal-Schönen sind daher auch
kollektiver Natur; wie Harmonie, Eurhythmie, Proportion, Symmetrie u. s. w.
Die Stillehre dagegen fasst das Schöne einheitlich, als Produkt
oder Resultat, nicht als Summe oder Reihe. Sie sucht die Bestandtheile
der Form die nicht selbst Form sind, sondern Idee, Kraft, Stoff und
Mittel; gleichsam die Vorbestandtheile und Grundbedingungcn der Form.
Dieser Weg durch das Gebiet der Kunst führt auf die grössten
Schwierigkeiten und im besten Fall nur zu einem Ergebnisse voll von
Lücken, leeren Rubriken und Irrthiimern; aber das ordnende und ver-
gleichende Verfahren welches bei diesem Streben nöthig wird. um das
Verwandte zu gruppiren und das Abgeleitete auf das Ursprüngliche und
Einfache zurückzuführen, wird wenigstens die Uebersicht über ein weites
noch meist brachlicgendes und andern zur Bearbeitung vorbehaltenes
Feld des Wirkens erleichtern und schon in so fern nicht ganz nutzlos
bleiben.
Unsere Aufgabe umfasst auch dasjenige was v. Rumohr passend den
Haushalt der Künste nannte, indem er sich darunter freilich zu-
nächst nur den ordnenden und zugleich dienend sich unterordnenden An-
theil der Baukunst an dem Siehgestalten der Werke hoher Kunst, der
Skulptur und der Malerei, dachte. Die Baukunst wird, sowohl in diesem
ihrem Verhältniss zu der bildenden Kunst im Allgemeinen, wie auch für
sich, ein Hauptgegenstand unserer Betrachtungen sein. Aber jene
höheren Regionen der Kunst bezeichnen nur die eine äusserste Grenze
des zu behandelnden Gebietes, bei dessen Eintritt wir jenen einfacheren
Werken_ der Kunst begegnen, an welchen diese sich am frühesten be-
thätigte, ich meine den Schmuck, die Waffen, die Gewebe, die Töpfer-
werke, den Hausrath, mit einem Wort die Kunstindustrie, oder das was
man auch die technischen Künste nenntß Auch diese sind in unserer
Aufgabe, und zwar in erster Linie, enthalten; zunächst weil die ästhe-
tische Nothwendigkeit, von der es sich handelt, gerade an diesen ältesten
und einfachsten Erfindungen des Kunsttriebes am klarsten und fasslich-
Sten hervortritt; zweitens weil sich an ihnen bereits ein gewisser Gesetz-
kodex der praktischen Aesthetik typisch festgestellt und formulirt hatte,
V 01' der Erfindung der monumentalen Kunst, die von ihnen, wie gezeigt
werden wird, eine bereits fertige Formensprache entlehnte, und auch in
anderer ganz unmittelbarer Weise ihrem Einflusse gehorcht; drittens
aber und vornehmliehst, weil jene von der Kunstgelahrtheit so quali-
1 Ein Ausdruck der durch seinen Pleonasmus die Verkehrtheit der mo-
dernen Kunstzustände, wonach eine weite, den Griechen unbekannte, Kluft
die sogenannten Kleinkünlste und die ebenfalls sogenannten hohen Künste
trennt, treffend genug bezeichnet, wesshalb ich ihn beibehalte.