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Viertes Hauptstück.
die ihnen charakteristischen Eigenschaften und daraus hervor-
gehenden Stilerfordernisse berücksichtigen.
Wir wollen daher die Flachs fasern und diesen ähnliche
vegetabilische lilaserstode ohne Rücksicht auf diese Fragen will-
kürlich voranstellen.
Das Charakteristische derselben ist ihre grosse Zähigkeit
(nächst der Seide die grösste, siehe oben), ihre eigenthümliehe
Frische und Warmeleitungsfithigkeit, welche zum Theil yon
der Glätte ihrer Oberfläche abhängt, ihre aus gleicher Ur-
sache theilweise hervorgehende geringe Empfänglichkeit für Auf-
nahme des Staubes und Schmutzes, ihre wesentlich auch auf
chemischen Eigenschaften des vegetabilisehen Stoßes beruhende
geringe Affinität zu den meisten Ifärbemitteln, ihre Unveränder-
lichkeit beim Waschen, die geringe Neigung, welche sie haben
sich zu lilzen "u. s. w.
Die erste Eigenschaft, nämlich die grosse Zähigkeit der Flachs-
fascr, verbunden mit geringer Dehnbarkeit, die sie besitzt, macht
sie besonders geeignet für Zwecke, welche diese Eigenschaft in
Anspruch nehmen und voraussetzen. Man hat daher sehr früh
angefangen, Flachs oder doch dem Flachs ähnliche Pilanzenfasern
zu benützen, um daraus Stricke zu drehen, die zur Befestigung
der Theile der Geräthe und Waffen aneinander und zu anderen
Hefteln dienen sollten.
Die Natur dieses Stoffes wies den Menschen an, ihn gleichsam
das weite Reich der textilen Kunst nach beiden Extremen hin
begrenzen und abschliessen zu lassen. Für die stärksten Fesseln
und Bande, Für die festesten Hüllen und Decken, die bestimmt
sind, gewaltiges mechanisches Wirken von Aussen abzufangen,
das Verhüllte dagegen zu schützen, oder es für einen bestimmten
Zweck als mechanische Kraft sich dienstbar zu machen (wie diess
durch die Schitfssegel und die Vvindmühlenilügeldecken geschieht),
benützte man zu allen Zeiten den ilachsähnlichen FaserstoH. Be-
kannt sind auch die von Herodot und Plinius gerühmten linnenen
Panzerhemden des Amasis i. Auch schon Homer führt uns die
gewirkten linnenen Panzer als die gewöhnliche Schutzwaffe der
hellenischen und phrygischen Helden vor, die auf ägyptischen so
wie assyrischen Wandgclnälden, auf griechischen und etruskischen
Vasenbildern und Skulpturen häufig dargestellt erscheinen. Dess-
Hemd.
182.
und
lll.
Plinius H.
XIX.