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Drittes
Hauptstück.
Mauern, die in der Phantasie jede gewollte Höhe erreichen mö-
gen, sichtbar bleiben. {Was nun auf dieser idealen senkrechten
Wandiläche jenseit des Plafonds aufrecht stehend gemalt ist, muss
auch so erscheinen, wenn dafür nur seine Projection auf der (ur-
sprünglich durchsichtig gedachten) Plafondüäche an die Stelle tritt.
Diese einfache Regel ist zugleich der Ausgangspunkt jener ver-
wickelten Kunst, der sogenannten perspective curieuse, die die,
schwierigsten architektonischen Combinationen verbunden mit rei-
chcn Figurengmppen auf jeglicher Deckenliäche kunstgerecht und
naturtreu darzustellen weiss. Sie ward seit der Renaissance schon
von Bramante Balthasar Peruzzi und andern Meistern häufig be-
nutzt, später aber von den Jesuiten bis zu höchstem Ungeschmackg
gernissbraucht.
Also jeder figürliche Gegenstand, der Kopf und Fuss hat, muss
mit den Füssen gleichsam auf dem Gesims der Mauer wurzeln,
und diess gilt für alle vier Mauern so wie für den ganzen Umfang
einer geschlossenen (kreisrunden oder ovalen) Wandfläche. In
der Mitte der Decke würden alle Spitzen oder Köpfe der aufrecht
stehenden Figurationen zusammenstossen, wenn durch eine zweßk_
mässige Eintheilung dieses nicht verhindert wird. Gewöhnlich
sind gerade in der Mitte des Plafonds oder Gewölbes auf dem
von allen vier Mauern gleichweit entfernten, mithin neutralen Ge-
biete die Hauptmotive der Decke angebracht, deren Richtung
dann in gewissen Fällen schwer zu bestimmen ist und nicht sel-
ten von lokalen und zufälligen Verhältnissen abhängt. Bei Rau-
men von entschiedener Richtung, wie bei den Hauptschiifen dm-
chcn Ueberlieferung angehörige Beschreibungen gewölbter Decken nicht anders
erklären können, als hätte man sie sich wirklich von Saphir oder vielmehr
von durchsichtigem Saphirglase konstruirt gedacht, über welcher durchsichti-
gen Kuppel Bildwerke aufgestellt sässen, die durch die Glaskuppel durchsehim-
merten. Hierüber das Nähere in der Unterabtheilung des Abschnittes über
Keramik, die über das Glas handelt. Doch" sei hier beiläufig an das schon im
Buche Hiob vorkommende einer solchen Glasdecke entnommene Bild erinnert;
Deus insistens nebula dura ut speculum fusum. So auch sieht Ezechiel den
donnernden Gott auf einer tönenden Wolke über den zitternden Krystallhimmel
wegfahren. Moses denkt sich sogar den Himmel aus sapphirnen Ziegeln ge_
wölbt, als Fussschemmel Gottes. Vergleiche damit Philostratus in Vita Apoll. I.
P- 33. Wo von einem babylonischen Zimmer gesprochen wird, dessen Kuppeldecke
das Bild des Himmels darstelle und aus Saphir gewölbt sei, worüber die
Bildnisse der Götter aufgestellt seien, die golden gleichsam aus dem Aether
heraus leuchteten.