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dem Einfluss Giotto's endlich, der gerade dadurch Epoche
macht, dass er den Kreis der Kunstvorstellungen erwei-
terte und den Gedanken für die Kunst eroberte, wurden
schon rein mythologische Scenen vorgestellt, wofür die
Miniaturen einer Handschrift im brittischen Museum ein
wichtiges Dokument sind. Um dieselbe Zeit tritt wieder
das Interesse hervor, biblische Geschichten nicht allein
mit Ereignissen der Profangeschichte, sondern auch mit
den Fabeln der Mythologie zu parallelisiren und diese als
Typen zu benutzen, namentlich in dem viel verbreiteten
Speculum humanae salvationis mit seinen Miniaturen und
anderen Werken, ein Interesse, welches auch im funf-
zehnten Jahrhundert anhält. Aber erst seit der ersten
Hälfte dieses Jahrhunderts beginnt eine stetige Entwicke-
lung, welche darauf hinauskommt, den mythologischen
Vorstellungen eine bleibende Stelle in der neuern Kunst
zu sichern. Sie erscheinen zuerst in den Beiwerken christ-
licher Scenen, gelangen demnächst dazu, ebenfalls an
heiliger Stätte neben christlichen Gegenständen, als wären
sie gleich berechtigt, Aufnahme zu finden, und haben
ebendaselbst im sechzehnten Jahrhundert und später hin
und wieder sogar die eigenthümlich christlichen Vor-'
Stellungen verdrängt. Eine solche Liebhaberei für mytho-
logische Allegorieen war freilich krankhaft und konnte
nicht Bestand haben. Das Resultat dieser Entwickelung
aber ist, dass die christliche Kunst in ihrer Beschlossenheit
zu Ende ging: sie ging über in die moderne Kunst, da
die Kirche aufhörte, mit ihren Ideen und Gefühlen aus-
schliesslich die Kunst zu beschäftigen und zu beseelen,
und die Vorstellungen des heidnischen Alterthums zu
einem selbständigen Element der Kunst erhoben wurden.
Dieses Ziel der Entwickelung und zugleich das Maass des-
selben stellt vornehmlich Raphael vor Augen, der beide
Richtungen in sich vereinigte und vor Allem einheimisch