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Leben und Lehre der alten Welt vielfach in das Christen-
thum herübergegriffen haben, insbesondere dass auch in
der Wissenschaft der Kirche Gedanken des Heidenthums
zugelassen sind.
Wenn aber die Herübernahme jener mythologischen
Vorstellungen in die christliche Kunst mehrentheils unbe-
schadet des christlichen Glaubens geschehen ist, sofern
sie entweder mit diesem sich in Einklang bringen liessen,
oder überhaupt kein dogmatisches Gewicht, sondern nur
einen künstlerischen Zweck haben; so führt dies über
die Kirchengeschichte hinaus auf eine Frage von allge-
mein religionsgcschiclttlicher Bedeutung, wenn man nelnn-
lieh auf den Ursprung jener Vorstellungen im Heidenthum
selbst zurückgeht. Es fragt sich, 0b nicht auch da, an
der Quelle der Mythenbildung, manche Vorstellungen
der heidnischen.Götterlehre ursprünglich eine nur künst-
lerische Geltung gehabt haben, das heisst nur Produkte
des künstlerisch bildenden Geistes sind, unbeschadet des
reinen religiösen Glaubens und erst später in diesen Glau-
ben eingedrungen, also Dogmen geworden sind. Denn
der Geist der griechischen Nation war wesentlich künst-
lerisch; der Kunst aber scheint es wesentlich, dass
sie, wie sie die Ideen verkörpert, so das Körperliche ver-
geistigt, also die anorganische Natur belebt und das Le-
bendige personificirt, kurz dass sie mythenbildend oder
vielmehr mythische Gestalten bildend sich verhält. Auf
jene Frage weiter einzugehen, ist nicht dieses Ortes;
aber einen Beitrag zu ihrer Lösung können die im Fol-
genden zu erörternden mythologischen Erscheinungen der
christlichen Kunst geben. Umgekehrt aber muss man jenen
Charakter der Kunst, dass sie mythenbildend sich ver-
hält, bei diesen Erscheinungen sich vergegenwärtigen,
um nicht ungerecht gegen das Vorkommen derselben in
der christlichen Kirche zu sein.