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Sibyllen als Prophetinnen im dreizehnten Jahrhundert, in
welchem überhaupt ein Wendepunkt in dem Gebrauch dieser
Vorstellung eingetreten zu sein scheint. Namentlich führt
Thomas von Aquino in der Frage von dem Glauben der
Heiden die Sibylle an als ein Beispiel, dass vielen Heiden
durch Engel Offenbarungen zu Theil geworden, da jene
deutlich von Christus geweissagt habe, wofür er sich
auf Augustin beruft 1). Heinrich von Meissen (Frauenlob)
beruft sich mehrmals auf die Sibylle 2). Und Thomas von
Celano singt zu Anfang der berühmten Sequenz vom
jüngsten Gericht:
Dies irae, dies illa
Solvet. seclum in favilla,
'l'este David cum Sibyllu a).
Dieser Thomas war eins der ersten Mitglieder des Fran-
ciskanerordens. Demselben Orden aber ward in der Mitte
des dreizehnten Jahrhunderts das Kloster von S. Maria in
Capitolio übergeben, an welche Kirche sich eine nicht
lange vorher entstandene, auch in kunstgeschiehtlicher Hin-
sieht bedeutsam gewordene Sage von der Tiburtinischen
Sibylle knüpft, womit der Name dieser Kirche S. Maria
Araceli zusammenhängt.
Erstens nehmlich wird berichtet, Kaiser Augustus
hahe die Pythia befragt, wer nach ihm herrschen werde,
worauf sie anfangs keine Antwort, dann aber die Weisung
gegeben: er solle schweigend von ihren Altären sich
i
1) Thom. Aq. In Sentent. Lib. III. Dist. XXV. quaest. II. art. 2.
Solut. qu. 2. ad 3. und Secunda Secundae, quaest. II. art. 7.
ad 3.
2) von der Hagen hlinnes. Th. 3. S. 391. a. 361. b.
a) S. oben S. 476. die Einweisung auf den Böm. Clemens. Vergl.
Mohnike Kirchen- und liuerarhist. Stud. u. Mittheil. Bd. I.
S. 53 ff.