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fassern, theils Juden, theils Christen gedichtet sind, in
der Zeit vom zweiten Jahrhundert vor Chr. bis zum
fünften Jahrhundert nach Christus: auf diese Weissagungen
beriefen sich die Apologeten als unter den Heiden selbst
vorhandene Beweise von der Wahrheit der geoffenbarten
Religion. Mit den sibyllinischen Büchern der Heiden
hatten die Christen natürlich nichts gemein, wenn auch
einzelne Orakel des heidnischen Alterthums in die christ-
liche Sammlung mit aufgenommen sind. Aber die christ-
liche Tradition von der Person der Sibyllcn schliesst sich
an die heidnische an.
Diese war sehr mannichfaltig. Nach Varro in seinem
Werk über die Alterthümer 1) haben die sibyllinischen
Bücher ihren Namen nicht von Einer Sibylle, sondern
daher, dass alle weissagenden Frauen von den Alten
Sihyllen genannt worden. Deren seien aber zehn ge-
wesen, die er namhaft macht unter Angabe der Autoren,
die von ihnen Zeugniss gegeben: nehmlich die Persische,
Libysche, Delphische, Cimmerische (anderswo die Italische
genannt), Erythräische, Samische, Cumäische (die dem
Tarquin ihre Bücher brachte, genannt Amalthäa, von
andern Demophile oder Herophile), Hellespontische, Phry-
gische und Tiburtinische (mit Namen Albunea). Merk-
würdig ist die Uebereinstimmung einer griechischen Nach-
richt von den zehn Sibyllen mit dieser varronischen, in
den Scholien zum Plato 2): es werden dieselben Sibyllen
in derselben Folge aufgeführt; aber die Nachrichten sind
etwas ausführlicher, insbesondere werden mehr Eigen-
namen angegeben, und die erstgenannte Sibylle, die
Persische, wird hier bezeichnet als die Chaldäische oder
vielmehr Hebräische, Namens Sambethe, Schwiegertochter
1) Bei Lactant. Div. Insbit. l, 6.
2) Schol. Plat. Phaedr. cd. Bekkor.
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