430
Noch weniger hat die altchristliche Kunst an diesen
Gegenstand sich versucht. Aber frühzeitig, seit dem
zweiten Jahrhundert, ist dieselbe von den Kirchenlehrern
angeeignet und empfohlen worden. Um so mehr, da sie
mit biblischen Vorstellungen eine gewisse Verwandt-
schaft hat.
Und wohl nicht zufällig ist diese Verwandtschaft,
sofern anzunehmen ist, dass die Fabel, wenn sie auch
der Form nach das Werk des Prodicus ist, doch in ihren
Grundlinien von ihm nicht erfunden, sondern in seiner
Heimath Ceos vorgefunden sei, eine alte Ueberlieferung,
die von dem Tyrischen Hercules ausgehen und so dem
Orient zurückzugeben sein mag 1). Denn vergleichen
lassen sich mit jener Fabel die Bilder der Sprichwörter
Salomonis, jene Schilderung (c. 7. wie die Wollust
den Jüngling gewinnt, dagegen die Weisheit den Menschen
lockt, freilich mit dem Unterschied, dass nicht beide
in derselben Handlung auftreten, um den Jüngling wett-
eifernd, dass die Verführerin nicht eine abstracte Person
ist, sondern als ein wirkliches Weib eingeführt wird,
und eben so wenig die Weisheit als eine blosse Per-
sonification erscheint, sondern die aus Gott geborene
wesentliche Weisheit ist. Aber auch die Vorstellung von
den beiden Wegen, dem der Gerechten und der Gott-
losen, findet sich im Alten Testament (Psalm und
bildlicher ausgeführt in der Bergpredigt (Matth. VII,
13. Davon leitet Clemens von Alexandrien geradezu
die Fabel des Prodicus ab 1), aus der er insbesondere
1) Vergl. Boettiger Hercules in bivio p. 13. und dagegen
Welcker in der Bec. dieser Schrift, Schulzeitung 1831. N0. 85.
S. 677. Ueber die Elemente und Voraussetzungen der Fabel
s. denselben in d. Abhandl. über Prodikos a. a. O. S. 579 (f.
2) Clement. Alex. Strom. V, 5. p. 664. ed. Potter.