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Der
Löwe.
Solche Vorstellungen von Satyrn wie von Centauren
und Sirenen hängen zusammen mit einer allgemeinen
Richtung, von der so viele Denkmäler in den Kirchen
des Mittelalters Zeugniss geben, den Kampf des Reiches
Gottes mit der Welt, die Versuchungen, welche die
Gläubigen zu bestehen haben, zur Anschauung zu bringen.
Meist sind es Thiere, durch welche die Gewalt oder List
des Feindes abgebildet wird, und zwar nach Gleichnissen
der heiligen Schrift. S0 heisst es ja von den Füchsen,
dass sie den Weinberg verderben (Hohel. II, und
von dem Wolf, dass er die Schaafe erhaschet und zer-
streuct (Joh. X,
S0 ist auch der Löwe neben andern Bedeutungen,
die er hat, als ein Symbol des Teufels genommen, nach
den Worten des Apostels (i. Petr. V, euer Wider-
sacher der Teufel gehet umher wie ein brüllender Löwe
und suchet, welchen er verschlinge. Hiernach sind z. B.
an den Fensterbänken im Dom zu Worms Löwen ge-
bildet, welche Menschenköpfe im Rachen tragen. Dieses
wird weiter zu verfolgen sein in der Symbolik der christ-
liehen Kunst. Aber zwei Bildwerke will ich gleich hier
nicht unerwähnt lassen, in welchen diese Bedeutung des
Löwen in Scenen der heidnischen Fabel übertragen ist.
In dem einen ist eine Fabel des Alterthums benutzt,
nach der Rolle, die der Löwe darin spielt, um in
ihm den Widersacher von einer andern Seite, nehm-
lich nicht der Gewalt, sondern des Truges, sehen zu
lassen. Das ist die Geschichte von Pyramus und Thisbe,
welche zuerst Ovid erzählt 1). Sie ist abgebildet im
Münster zu Basel, an einer der Säulen des Chors aus
O v i d. Bletam.
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