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an monströsen Geschöpfen, auch dieses Thier hervorbringe,
lasse er dahingestellt sein.
Jedenfalls war die Wüste, in welche heilige Männer
sich zurüekzogen, indem sie vermeinten so den Lockungen
der Welt sicherer zu entgehen, für sie fruchtbar an Ver-
suchungen: um so gefährlicher, da sie mit ihren sich
verklagenden Gedanken allein gelassen waren und durch
keine Frucht-bringende Thätigkeit über sich erhoben
wurden. Die innern Kämpfe reflectirten sich nach aussen:
mit dämonischen Gestalten bevölkerten diese Einsiedler
die Wüste, den Geschöpfen ihrer Phantasie. Es sind die
wilden Triebe des Herzens, die so verkörpert wurden.
2. In diesem Sinn finden wir nun später Centauren
dargestellt. Denn der altchristliehen Kunst ist diese Vor-
stellung fremd geblieben. Sie lässt sich aber nachweisen,
gleichwie die der Sirenen, vom zehnten bis zum sech-
zehnten Jahrhundert.
Es scheint dieselbe sich anzukündigen in einer Hand-
schritt aus dem Ende des zehnten Jahrhunderts, dem
Epternacher Evangeliarium zu Gotha (s. oben S.
jedoch nur erst als Verzierung: die Canones nehmlich,
welche dort auf die einleitenden Schriftstücke folgen, sind
durch Bogenstellungen eingefasst; dabei sind oben Thiere
angebracht, Störche, Hähne u. s. w., auch menschliche
Figuren, am Schluss derselben aber zu beiden Seiten
des Bogens sieht man einen Knaben und einen Centauren,
beide einen Pfeil abschiessend.
Hiernäehst sind die Centauren dargestellt in Werken
der Seulptur an Kirchengehäuden. Vornehmlich an deren
Portalen erscheinen sie im eilften und zwölften Jahrhundert.
Bedeutsam Stehen diese Gebilde an der Schwelle des Heilig-
thums, eine Warnung für die draussen Stehenden, eine
Mahnung für die Eintretenden, „den Schild des Glaubens"
zu ergreifen, um damit jene feurigen Pfeile auszulösehen.