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also neben einander ein Bild der Sünde als Verführung
und Bestrafung. Einer der Chorstühle in der Nicolai-
kirche zu Anclam vom J. 1498 enthält an der durch-
brochenen Rücklehne ein eben solches Wasserweib, das
von einem wilden Mann umfasst wird 1), wahrschein-
lich ein Bild der Buhlerei mit dem Bösen.
In demselben Sinn erscheint ein Wasserweib mit
ausgebreiteten Armen, der ein Teufel naht, in den Ein-
fassungen der Heures aus dem funfzehnten und sech-
zehnten Jahrhundert 2). Als Bild der Verführung aber
in einer Pergamenthandschrift zu Weimar, einem Gebet-
buch in Octav 3), mit Scenen aus dem Leben Jesu: bei
der Versuchung Christi, wie der Teufel ihm zwei Steine
darbietet (Bl. 20. sieht man unten am Rande zwei
Figuren, ein nacktes Weib und einen bekleideten Mann,
mit menschlichem Oberleib und in einem Fischleib endigend,
sie halten einen Schild, in dessen Mitte ein Herz ist,
durchbohrt von zwei Schwcrdtern.
4. Das ist also die mittelalterliche Tradition von den
Sirenen, in welcher die dämonische Bedeutung dieser
Gebilde festgehalten ist. Seit der zweiten Hälfte des
funfzehnten Jahrhunderts aber hat das Znrückgehen auf
die Antike jene andere Bedeutung wiedererweckt, in
welcher eine Sirenenfigur auf das Grab des Sophokles
gestellt war. So sieht man auf einer Medaille des Spe-
randio zu Ehren des Ludovico Carbone, Prof. zu Ferrara
(1- 1482), eine Sirene mit zwei Fischschwänzen, welche
sie mit den Händen zu beiden Seiten emporhebt; dazu
die Umschrift: MUSIS GRATIISQUE VOLENTIBUS 4).
1) Kugler Pommersche Kimstgesch. S. 191.
a) S. die Abbildung bei Langlois Essai sur la calligr.
du moyen-äge zu p. 150. iig. 13.
a) Die Handschrift hat kein Bibliothekszeichen.
4) Lenormant Träsor etc. Mäd. en Ital. P. II. PI. XI,
des Mss.