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Alanus kommt gleichmssweise auf sie zu reden, indem
er seiner Zeit einen Spiegel verhält: einige Töchter des
alten Götzendienstes, sagt er, wie der Bauchdienst (Bacchi-
latria), der Mammonsdienst (Nuinmulatria), suchen jetzt
die Herrschaft ihrer Mutter wiederherzustellen; und unter
feindlicher Freundschaft gleich den Sirenen, die bis zum
Untergange lieblich sind, durch süsse Melodie berauschend,
führen sie ihren Liebhaber zum Schiffbruch des Götzen-
dienstes 1). Hiernach wird in der goldenen Schmiede
von Conrad von Würzburg um 1280 den Lochungen der
Sirene die Wirksamkeit der h. Jungfrau entgegengesetzt:
swaz diu syröne trügesaln
versenken wil der schiffe
mit süezer doene grilfe,
diu leitest, vrowe, dü .ze slzade 2).
Sinnreich schildert Dante 3) unter dem Bilde der
Sirene geradezu die Welt (die auch als Frau Welt bei
deutschen Dichtern persönlich aufgefasst und von der
bildenden Kunst dargestellt ist) 4), deren Täuschungen
durch ein heiliges Weib, die Wahrheit, aufgedeckt werden.
In einem Traumgesicht nehmlich auf dem Berg der Bei-
nigung sieht er ein Weib vor sich stehen, verstümmelt,
fahl, schielend, die aber von seinem Blick belebt Gestalt
und Farbe bekommt und nun ein Lied beginnt:
„Ich der Sirenen Süsseste", so klang es,
„Ich bin's, durch die vom Weg der Schiffer schweift;
Denn wer mich hört, ist voll des Wonne-Dranges,
Mir folgf Ulyss, der lang umhergestreift,
Und wie Entzücken ihn und Wollust kirren,
Verlässt mich Keiner, der mich ganz begreift."
1) Alanus De planctu nat. Opp. p. 304.
2) v. 148-151. herausgegeb. v. W. Grimm S. 5.
3) Dante Infern. XIX, 7 (f.
4) Wovon im folgenden Bande gehandelt werden.
vergl.
LIII.