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3. Von besonderem Interesse ist es, wenn in einem
und demselben Gemälde Genien und Engel vorkommen,
woraus sich die Bedeutuug der erstern, wie sie mit den
Engeln in Gegensatz, aber auch in Parallele gebracht sind,
ableiten lässt.
Sie werden aber den Engeln gegenübergestellt (ab-
gesehen von dem Fall, da sie nur als Verzierung geilen) 1)
nicht nur in allegorischer, sondern auch in geschichtlicher
Bedeutung.
Eine geschichtliche Existenz haben sie, wenn sie als
Wesen einer Religion, die einst herrschend war, dann
dem Christenthum gewichen ist, aufgefasst und so jenen
prophetischen Frauen, die an der Grenze beider Religionen
stehen, zur Seite gestellt werden. Das zeigt sieh in einer
Handschrift der K. Bibliothek zu München mit den ZWÖlf
Sibyllen 2), deren Bild in der Regel durch zwei Säulen
eingerahmt ist: an diesen sind zweimal, bei der Siliylla
Libica und der Agrippa (Bl. 2. b. 9. nackte, geüügtßltiv
Knaben, auch ist ein solcher bei der Delphisehen Sihylle
an ihrem Sitz (B1. 10. b.) vorgestellt. Wie nun Sibyllen
und Propheten, als Repräsentanten des Heidenthums und
Judenthums, die aber auf das Christenthum hinweisen,
häufig (und so auch in der eben genannten Handschrift)
neben einander gestellt sind; so finden sich auch in deren
Begleitung Genien und Engel, einander gegenüberstehend,
eine Unterscheidung, die namentlich Michelangelo
beobachtet hat in den Deckengemälden der Sixtinischen
l) S0 enthält in einer für Papst Paul III. im J. 1542 verfertigten
Psalmodie ein Miniaturbilll, welches die Schöpfung von Sonne
und Mond vorstellt, nebst der gegenüberstehenden Seite in
den Randmalcreien zwölf Engel und vier Genien symmetrisch-
arabeskenartig angeordnet, s. Waagen Kunstw. u. Künstler in
Paris S. 395.
2) CIITI. 44. s. unten S. 43.