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Geni
G11.
235i.
Eine eigenthümliche Erscheinung ist der Dämon, auf
den Sokrates sich berief, dass er in seinem sittlichen
Leben ihm zur Seite stehe. Allgemein aber wurde im
heidnischen Alterthum jedem Menschen ein Genius zuge-
theilt, dessen Vorstellung zwischen einem persönlichen
Gegenbilde desselben und seinem Urbilde schwankt. Im
letztern Fall ist er der ideale Mensch, die beflügelte Ge-
stalt der Seele und repräsentirt die natürlichen Gaben
und geistigen Kräfte des Menschen; so ist er im Sinn
der christlichen Kunst nur ein poetisches Wesen. Im
erstern Fall lässt sich die Vorstellung von Genien in die
von Engeln umsetzen als wirklichen aber übermenschlichen
Wesen, die jedoch nach der heil. Schrift an dem Wandel
der Sterblichen Theil nehmen, insbesondere von Schutz-
engeln, wie dieselbe in der christlichen Kirche ausge-
bildet ist.
Hieraus folgt schon, dass diese Vorstellungen in
einander übergehen können, welches in der That in
zwei Epochen der christlichen Kunst geschehen ist. Doch
sind beide, die Bilder der Engel und der Genien, wohl
zu unterscheiden, wie sie denn auch neben einander be-
stehen, zumal wie sie nach einander in die Kunst ein-
getreten sind.
Denn in der ersten Zeit der christlichen Kunst sind
keine Engel, nur Genien gebildet. Dann gehen im fünften
und sechsten Jahrhundert beide Vorstellungen neben ein-
andcr her. Später kommen nur Engel vor: es werden
Genien nur ausnahmsweise vorgestellt. Bis im dreizehnten
Jahrhundert auch diese Bilder des Alterthums wieder
erscheinen, welche seit dem fünfzehnten Jahrhundert in
der christlichen Kunst ganz einheimisch geworden sind.