250
Denn wie sie in der epischen Dichtung schon im
zwölften Jahrhundert leibhaft auftritt, so wird sie zu
Anfang des dreizehnten diu gotinne Minne genannt 1).
Dabei fehlt auch nicht die Erinnerung an das heidnische
Alterthum, die Beziehung auf die Venus, obwohl dieselbe
in dem Gedicht des Alanus (s. oben S. 240.) noch unter
den Lastern figurirt. Doch bald darauf ward sie als
Minnegöttin gefeiert, nachdem für die Popularisirung ihres
Mythenkreises gesorgt war durch die deutsche Ueber-
Setzung der Metamorphosen Ovid's von Albrecht von
Halbersladt um d. J. 1210, welche bei der herrschenden
Richtung des Zeitalters einen empfänglichen Boden traf.
Nicht lange, so unternahm Ulrich von Lichtenstein (im
J. 1227) seinen abentheuerlichen Zug von Venedig aus
bis nach Böhmen im Namen und verkleidet als Königin
Venus, wie er sich ankündigte durch einen voraus-
gesandten Brief, in welchem „die werthe Königin Venus,
Göttin über die Minne allen den Rittern, die in der Lom-
bardei, zu Friaul, Kärnthen, Steiermark, Oesterreich und
Böhmen gesessen sind, ihre Huld und ihren Gruss ent-
bietet und ihnen kund thut, sie wolle sie lehren, mit
wie gethanen Dingen sie werther Frauen Minne verdienen
oder erwerben sollenß 2).
Vor allem haben es die Lieder dieser Zeit, um die
Mitte und in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahr-
hunderts mit der Venus oder der Minne zu thun. So
häufig wird sie von den nach ihr benannten Minnesingern
angerufen, wie von Heinrich von Stretlingen, dass
Grimm
Das erstere inllwein, das andere im Tristan, s. bei J ac. Grinn m
Deutsche Mythol. 2. AuSg. S. 846.
Ulrich von Lichtenstein Frauendienst, herausgegeben von
Lachmann S. 162. Bearbeit. von Tieck S. 85.