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sieht dort unter zwei gothischen Giebeln mit rundbogigen
Füllungen einen Jüngling neben seinem Fräulein sitzen:
er scheint im Gespräch mit ihr oder ein Minnelied ihr
vorzutragen; sie aber windet aus den Blumen in ihrem
Schooss einen Kranz, der ihm zum Lohne bestimmt sein
wird. Ueber ihnen zwischen den beiden Giebeln erscheint
auf einem Thron ein gekröntes und geflügeltes Frauen-
bild, in jeder Hand mit einem Pfeil, womit sie auf den
Jüngling und das Fräulein zielt, das ist Frau Minne.
Zu beiden Seiten zwei geflügelte Figuren, die eine mit
der Handorgel, die andere mit der Laute. Dies Bild-
Werk ist abgesehen von der feinen und zarten Ausführung
zwiefach bemerkenswerth. Denn es folgt hier die bildende
Kunst, die früher in der kirchlichen Sphäre ausschliess-
lieh sich bewegt, der Richtung, welche die Poesie ge-
nommen hatte, und welche neben der Kirche das ganze
Zeitalter beherrscht, indem sie eine Scene ritterlichen
Frauendienstes behandelt. Zugleich zeigt sich ein mytho-
logisches Motiv in der Darstellung der Minne. Zwar
wurden auch sonst vermöge eines eigenthümliehen Bil-
dungstriebes der christlichen Kunst Eigenschaften und
Zustände als allegorische Wesen in weiblicher Gestalt
gebildet, wie die Cardinaltugenden, die Freiheit, Ein-
tracht, Freundschaft u. a. (wovon im folgenden Bande
näher die Rede sein wird; vergl. auch den Schluss dieses
Bandes). Frau Minne jedoch ist noch etwas mehr als
eine blosse Personilieation; ihr wird bestimmtere Existenz
geliehen.
K. Kunstkammer S. 40. n. 71. Abgebildet bei von der Hage n
Ueher die Gemälde in den Samml. der altdeulschen lyr. Dichter,
Philol. und histor. Abhdl. der K. Akad. der Wiss. zu Berlin,
Jahrg. 1842. S. 441. Taf. I. lig. 1.