Volltext: Mythologie der christlichen Kunst von der ältesten Zeit bis in's sechzehnte Jahrhundert (Bd. 1, Abth. 1)

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sieht dort unter zwei gothischen Giebeln mit rundbogigen 
Füllungen einen Jüngling neben seinem Fräulein sitzen: 
er scheint im Gespräch mit ihr oder ein Minnelied ihr 
vorzutragen; sie aber windet aus den Blumen in ihrem 
Schooss einen Kranz, der ihm zum Lohne bestimmt sein 
wird. Ueber ihnen zwischen den beiden Giebeln erscheint 
auf einem Thron ein gekröntes und geflügeltes Frauen- 
bild, in jeder Hand mit einem Pfeil, womit sie auf den 
Jüngling und das Fräulein zielt,  das ist Frau Minne. 
Zu beiden Seiten zwei geflügelte Figuren, die eine mit 
der Handorgel, die andere mit der Laute.  Dies Bild- 
Werk ist abgesehen von der feinen und zarten Ausführung 
zwiefach bemerkenswerth. Denn es folgt hier die bildende 
Kunst, die früher in der kirchlichen Sphäre ausschliess- 
lieh sich bewegt, der Richtung, welche die Poesie ge- 
nommen hatte, und welche neben der Kirche das ganze 
Zeitalter beherrscht, indem sie eine Scene ritterlichen 
Frauendienstes behandelt. Zugleich zeigt sich ein mytho- 
logisches Motiv in der Darstellung der Minne. Zwar 
wurden auch sonst vermöge eines eigenthümliehen Bil- 
dungstriebes der christlichen Kunst Eigenschaften und 
Zustände als allegorische Wesen in weiblicher Gestalt 
gebildet, wie die Cardinaltugenden, die Freiheit, Ein- 
tracht, Freundschaft u. a. (wovon im folgenden Bande 
näher die Rede sein wird; vergl. auch den Schluss dieses 
Bandes). Frau Minne jedoch ist noch etwas mehr als 
eine blosse Personilieation; ihr wird bestimmtere Existenz 
geliehen. 
K. Kunstkammer S. 40. n. 71. Abgebildet bei von der Hage n 
Ueher die Gemälde in den Samml. der altdeulschen lyr. Dichter, 
Philol. und histor. Abhdl. der K. Akad. der Wiss. zu Berlin, 
Jahrg. 1842. S. 441. Taf. I. lig. 1.
	        
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