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lichen Ideen umbildet, so geht umgekehrt die selbständige,
zumal die lyrische Poesie dieser Zeit auch antiken Ideen
nach: der Minnegesang schliesst einen wahren Cultus der
Venus und des Amor ein. Diese Dichtungen gaben dann
zunächst der Miniaturmalerei Veranlassung, mythologische
Figuren und Scenen darzustellen. So beginnt also schon
damals der von christlichen Ideen erfüllten Kunst eine
weltliche, welche mythologische Motive aufnimmt, zur
Seite sich zu stellen.
Diese Elemente wirken zusammen, bis im vierzehnten
Jahrhundert ein neuer Impuls sich geltend macht: die
Begeisterung, mit welcher die grossen Dichter Italiens,
Dante und Petrarca, der Poesie des klassischen Alterthums
sich hingaben, und die grossartige Vermischung antiker
und christlicher Anschauungen, wodurch Dante's Werke
auch für die bildende Kunst epochemachend geworden sind.
Der letzte und entscheidendste Wendepunkt aber tritt
seit der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts ein,
als die Richtung auf das Alterthum zunächst in Italien
das herrschende Interesse wurde. Das offenbart sich so-
wohl in der Wissenschaft durch die Wiederherstellung
der klassischen Literatur, als in der Kunst, in welcher
die antiken Vorbilder an der Tagesordnung waren. Aber
auch die Sitte neigte sich der in vielen mythologischen
Scenen nach der Auffassung des entarteten Heidenthums
ausgesprochenen Lebensansicht der Lust und des Genusses
zu: daher mythologische Motive nicht bloss in ihrer künst-
lerischen und idealen Geltung, sondern auch um dieser
praktisch-heidnischen Bedeutung willen Eingang fanden.
Doch zuletzt noch einmal zu Anfang des sechzehnten
Jahrhunderts wurden von der Kunst am Ziele ihres grossen
Weges die christlichen Ideen, die bis dahin sie bewegt
hatten, in wahrhafter Verklärung zur Anschauung gebracht,
- in derselben Zeit und von denselben Meistern, welche