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das Heidenthum noch eine Macht in den Gemüthern war
und an jene Gottheiten noch geglaubt wurde, in der
Kirche also man um so mehr Ursache hatte, dagegen
sich abzuschliessen, muss es auffallen, dass dergleichen
mythologische Scenen in einem christlichen Hause konnten
Aufnahme finden und einer christlichen Frau zugemuthet
wurde, an ihrer Beschauung sich zu ergötzen. Denn es
will mehr sagen, wenn solche Scenen in einem Werke
der bildenden Kunst zur Darstellung kamen, als wenn
die mythologische Reminiscenz in einer poetischen Rede
flüchtig vorgeführt wurde und die Allegorie nur zur
Einfassung dient, um das Lob eines jungen Ehepaars zu
heben.
Unter diesen Umständen könnte ein Zweifel will-
kommen sein, -der wider die Aechtheit des Kunstwerks
erhoben ist, oder vielmehr die Verwerfung desselben als
eine „elende neue Betrügerei", wofür Marini in einem
Briefe an Morcelli in Venedig es soll erklärt haben. Dies
Urtheil MarinPs aber kennt man nur durch die Aussage
v. Köhlefs 1), der sich auch nur auf die Versicherung
Morcellfs beruft und dasselbe verbringt, um seine schnöde
Auslassung gegen Visconti (in Bezug auf dessen Erklärung
dieser und anderer Denkmäler) zu unterstützen, un-
geachtet er späterhin gesteht 2), die Abhandlung Viscontfs
noch gar nicht gelesen zu haben. Aber auch Böttiger 3)
scheint jenem Verwerfungsurtlxeil beizupflichten. Allein
während die Auctoritat Marinfs, die auf epigraphischem
Gebiet anerkannt ist, in diesen Dingen dahingestellt bleiben
mag, kann sein Urtheil wenig in Betracht kommen, so
1) In Böttigefs Amalthea I. S. 301.
2) In einem Br. an Böttiger vom 25. Febr.
S. XVI.
3) Büttiger Amalthea II. S. XV. f.
1821.
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