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Instrument (Organ) gewesen, wodurch er gewirkt,
besonders indem er den kranken Seelen, die das Göttliche
in der Creatur suchten, ihrem Suchen entgegenkommend
als den Mensch gewordenen Gott sich dargestellt habe.
Abgesehen von dieser, weniger populären Vorstellung,
besteht der Antitypus also darin, dass was Orpheus in der
leiblichen und unvernünftigen Natur gewirkt, von Christus
in der geistig-sittlichen Welt vollbracht sei, was bei
jenem nur Zauberei gewesen oder Fabel, bei diesem in
göttlicher Kraft und Wahrheit bestehe.
Uebrigens ist bei Eusebius die Verwerfung des Or-
pheus nur leise angedeutet: es ist das auch nur die
eine Seite der Meinung, die über ihn in der alten Kirche
herrschte. Von der andern Seite ward er eben so gefeiert
als Vorläufer der reinen Lehre, auf Grund der ihm bei-
gemessenen Orphischen Gesänge. Beides wird schon um
die Mitte des zweiten Jahrhunderts zusammengefasst von
Justin dem Märtyrer 1): Orpheus, sagt er, sei der erste
Lehrer des Polytheismus gewesen und habe 360 Götter
gelehrt; später aber widerrufen und seinem Sohn Musäus,
sowie den andern, die ihn hörten, den Einen Gott ver-
kündigt in einer Weise, als habe er die Grösse Gottes
von Angesicht geschaut.
Hieraus erhellt, in welchem Sinn und mit welchem
Recht auf altchristlichen Denkmälern Christus unter dem
Bilde des Orpheus vorgestellt ist.
Dazu gab es aber noch eine besondere Veranlassung
in einer verwandten, seit ältesler Zeit unter den Christen
auch künstlerisch ausgeprägten Vorstellung. Es ist
jenes vorzüglich beliebte und so oft wiederholte Bild von
dem guten Hirten, der die Schaafe führet und sie mit
Namen rufet, welche seine Stimme kennen und ihm nach-
Justin.
Matt.
Cohort.
ad