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den Einfluss der Ideale der altgriechischen Kunst, nament-
lich der Vorstellung vom Apollo, auf die ursprüngliche
Auffassung des Christusbildes in Abrede stellen zu müssen.
Was zuerst den späteren Typus desselben betrifft; so
scheint er unabhängig von jeder Tradition über das wirk-
liche Aussehen Christi, zumal bei den Juden, entstanden
zu sein: denn von einer genauern Tradition findet sich
bis in die Zeit, in der dieser Typus auftritt, in der
ganzen alten Kirche keine Spur, die allgemeine An-
sieht aber, die vom Judenchristenthum aus, das heisst
auf Grund einer Alttestamentlichen Stelle, über die Er-
scheinung Christi verbreitet war, seine Gestalt sei häss-
licher, denn anderer Leute (Jes. 52, 14), widerspricht
diesem Typus, nach welchem die Gestalt Christi an Würde
und Hoheit über die anderer Menschen hervorragt.
Dazu kommt, dass der Gegensatz von Judenchristen und
Heidenchristen auf diesen Punkt sich nicht erstreckt: denn
einesthcils theilteil auch die Heidenchristen diese Ansicht,
welche zu Ende des zweiten Jahrhunderts von zwei grossen
Kirchenlehrern, die aus dem Heidenthum stammen, Clemens
und Tertullian vertreten wird. Anderestheils hatte sich
in der Zeit, in welcher zuerst Christusbilder in der Iärche
vorkommen, das ist schwerlich vor dem dritten Jahr-
hundert, aus Judenchristen und Heidenchristen eine kirch-
liche Masse gebildet, die von diesem Gegensatz nicht
unmittelbar berührt wurde, sondern den eigenthümlich
christlichen Geist in sich hegte und fortpflanzte. Aus diesem
Geiste, von dem die junge christliche Kunst getragen wird,
wird man auch den Typus des Christusbildes zu erklären
haben.
In der Zeit nun, in Welcher der andere, ältere Typus
des Christusbildes entstand, herrschte in der Kirche Gleich-
gültigkeit gegen die Auffassung Christi nach seiner leib-
lichen Erscheinung; die Kirche gestaltete sich vielmehr