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Derselbe Entsvickelungsgang lässt sich in der Aus-
schmücktnig der Bänder der Miniaturgemäilde erkennen.
Während früher dieselben mit goldenen Kilöpfchen und
Blättchen verziert wurden, traten im Lauf des 15. Jahr-
hunderts an deren Stelle naturwahre Blumen, Blätter und
Früchte: den Uebergang machen wiederum die Brüder
Van Eyck, iniineiitlicli durch die Malereien in dem ge-
nannten Breviaritun des Herzogs von Bedford vom J. 1424,
in welchem beiderlei Verzierungen die Ränder so wie
diß Zwischenräume der Bilder einnehmen 1); wogegen
zu Ende des Jahrhunderts in dem Gebetbuch der Anna
von Bretagne ausschliesslich in der letztern Art theils
Pflanzen, Blumen, Früchte, besonders Zweiglein mit Kir-
schen von vortrelflicher Ausführung, theils Eidechsen,
Schildkröten oder Insekten die Bänder schmücken 2).
2. Wie tief dieser Umschwung begründet ist, geht
daraus hervor, dass, der landschaftlichen Entwickelungs-
reihe parallel, auch in den Werken der historischen
Kunst eine ähnliche Umwandlung sich zu erkennen giebt.
So viele Jahrhunderte hatte dieselbe die alten Typen und
Strengen Formen bewahrt, wie einst die griechische
Kunst, gebunden durch religiöse Scheu, nach uraltem festem
Gepräge ihre Götterbilder geformt hatte 3). Aber wie
I) Waagen a. a. O. S. 357. Ebenso in einem nahe gleichzeitigen
Psalteriiun in der Heidelberger Bibliothek (Sehr. 9 eJ, s. Wa a g e n
Kunstw. u. Künstler in Deutschland II. S. 384.
z) Waagen Kunstw. u. Künstler in Paris S. 378. 382 f. Ebßllßü
in einem Gebetbuch aus derselben Zeit in der Biblioth. des
Arsenals, ebendas. S. 390.
n) Nach dem alterthümlichen Grundsatz, der in dem Ausspruch
römischer Haruspices enthalten ist: nolle deos mutari veterem
forinam, bei Tacit. Hist. IV; 53. Vergl. Thiersch Ueber
die Epochen der bildenden Kunst unter den Griechen, 2. A.
S. 61. 92. 223.