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12. Jahrhundert nehmlich schrieb der Priester Potho,
Mönch im Kloster Priflingen bei Regensburg, sein Buch
De miraculis s. Mariae, worin folgende Erzählung 1),
die gewissermaassen einen geschichtlichen Commentar zu
dem Hymnus Ave maris stella bildet. Der Verfasser will die
Begebenheit von dem Abt, dem sie begegnete, selbst er-
kundet haben. Dieser Abt befand sich mit vielen andern zu
Schiffe mitten auf dem britannischen Meer, als ein solches
Unwetter einbrach, dass alle am Leben verzagten. Man
rief die Heiligen an, ein jeder den, mit dem er vertraut
war: der eine den Nicolaus, der andere den Andreas,
andere einen andern,- niemand aber die Maria. Als das
der Abt sah, sprach er zu ihnen: „Was heisst es, dass
ihr die minder mächtigen Heiligen anruft, nicht aber die
Mutter der Barmherzigkeit, die mehr als alle kann. Gut
zwar ist was ihr thut; aber viel besser wäre es, wenn
ihr alle einstimmig zur Mutter Gottes flehtet". Das ge-
schah: man .rief sie an unter andern mit dem Namen Tu
dei mater alma (wie im zweiten Verse des Ave maris
stella). Und wunderbar! Sofort erschien auf der Spitze
des Mastes ein grosses Licht gleich einer Wachskerze,
welches die nächtliche Finsternissverscheuchte und alle
im Schiff mit Glanz übergoss: das Unwetter legte sich,
auf Befehl der Himmelskönigin trat grosse Meeresstille
ein. Bald brach ein heiterer Tag an und das Schiff lan-
dete glücklich. „O Stern des Meeres, heller als alle,
mächtiger als alle zu helfen!" ruft der Verfasser aus.
Der Zweck der Legende liegt vor Augen und spricht
1) Potho Lib. de mirac. s. Mariae c. 28. herausgegeb. von Bern.
P ez Ven. Agnetis Blannbekin vita et revelationes. Access. Pothonis
Liber de mirac. s. dei genitricis Mariae. Viennae 1731. 8".
p. 363-365. Diese Legende ist auch mitgetheilt im Anhang
zu den gleich anzuführenden Marienlegenden S. 272-274.
vergl. das. S. XIX.