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Zweifel aus der vorerwähnten Composition Tizians, seines
Lehrers, entnommen hat. Es stellt die Zeit dar, welche
den Sieg der Religion über die Ketzerei herheiführt, und
befand sich ehemals im Kaufhaus der Deutschen zu Venedig
mit drei andern allegorischen Gemälden desselben Meisters,
mit denen es neuerdings für die K. Gallerie zu Berlin
erworben ist 1). Die Religion, eine in einem Buche lesende
Matrone, erscheint mit einem Genius neben sich, im
Hintergrunde über ihr erblickt man einen Theil des
Thierkreises; im Vorgrunde liegt die Ketzerei, eine
scheussliche und abgezehrte Alte; neben ihr, auf sie
herabhlickend, ragt der Gott der Zeit hervor, ein Greis
mit langem, grauem Bart, mit einer Sense in der Linken,
den rechten Arm auf die Erdkugel gestützt: zu seinen
Füssen sind zwei Genien, der eine mit Winkelmaass und
Zirkel.
Vor allem ist noch eine Vorstellung zu bemerken,
die eine beliebte Aufgabe der neuern Kunst geworden
und in einer ganzen Folge von Kunstwerken (worauf
schon im Eingang S. 397. hingedeutet wurde), nicht
bloss in Kupferstich und Malerei, sondern auch in Sculptur
ausgeführt ist: das ist die Vorstellung der Zeit, welche
die Wahrheit gen Himmel hebt. Eine Composition dieses
Inhalts enthält ein Kupferstich von Corn. Matsys 2),
ohwohl die ganze Allegorie vermulhlich schon früher
vorgekommen und nicht erst von seiner Erfindung ist;
man erblickt in der Luft den fliegenden Gott der Zeit,
der die_ Wahrheit, eine ganz nackte weibliche Figur
(mit der Inschrift Veritas filia Temporis) am Arme hält;
hinter ihr die missgestaltete Finsterniss, die Ver-
Aufgestellt unter n. 304.
Wovon ein Exemplar im
a. a. O. S. 276.
Museum zu
Gotha, s.
Rathgeber