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welcher den Befehl ertheilt, der vor ihm knieenden
Ruth das Aehrenlesen zu gestatten; den Herbst die
israelitischen Kundschafter mit der über einem Stabe
gehängten Traube (4 Mos. 13, den Winter die
Sündfluth mit der Arche. Zweitens aber erscheinen alle
diese Vorgänge nur als Stalfage; zur eigentlichen Cha-
rakteristik der Jahreszeiten dient hier die landschaftliche
Composition: für den Frühling eine bauinreiche Gegend,
für den Sommer ein grosses Kornfeld, für den Herbst
eine fruchtbare, für den Winter eine nächtliche, nur von
einem Blitzstrahl matt erhellte Landschaft. Und so tritt im
Gegensatz gegen die antike Personification der Naturer-
scheinungen das Ergreifen der Naturwahrheit, als das unter-
scheidende Wahrzeichen der modernen Kunst, in diesen
kunstgeschichtlieh bedeutsamen Bildern uns entgegen.
Welche Wahrheit aber auch jener Personification
innewohnt, wie die Kraft der Poesie auch den Jahres-
zeiten und ihren Erzeugnissen Leben und Persönlich-
keit leiht, das möge schliesslich noch ein Wort des
grossen Dichters darthun, wo die Folgen eines Zwiespalts
zwischen dem Elfenkönig und der Elfenkönigin geschildert
werden 1):
Durch eben die Zerrüttung wandeln sich
Die Jahreszeiten: silberhaafger Frost
Fällt in den zarten Schooss der Purpurrose;
Indess ein wiiriger Kranz von Sommerknospen
Auf Hyems Kinn und der beeisten Scheitel
Als wie zum Spotte prangt. Der Lenz, der Sommer,
Der zeitigende Herbst, der zorn'ge Winter:
Sie alle tauschen die gewohnte Tracht,
Und die erstaunte Welt erkennt nicht mehr
An ihrer Frucht und Art, wer jeder ist.
Sh a k s p e a r e Sommernachtstraum II.
S. 248.
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Akt,
1. Scene.
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