der die letztere für stumme Poesie erklärte 1). So ward
in diesen Künsten die beseelte menschliche Gestalt an die
Stelle des Leblosen gesetzt, wie beim Sonnenaufgang Erde,
Meer und Himmel in Person vorgestellt wurden 2). Und
indem man diesen Gestalten menschliche Empfindung gab,
erscheinen sie nicht bloss die Handlung begleitend, son-
dern selbst in dieselbe eingreifend, wie dies anmuthig
hervortritt in den Darstellungen fliessender Gewässer, von
denen die Quellen als Jungfrauen, die Bäche als Knaben
und Jünglinge, die Ströme als Männer und Greise an dem,
was um sie vorgeht, Theil nehmen. Zu einer solchen
Auffassung sah die antike Kunst sich veranlasst, da sie
den Lebensodem, der die Natur durchweht (welchen fühl-
bar zu machen die Tonkunst so ganz andere Mittel hat),
in ihrem engen Rahmen nicht anders zur Anschauung zu
bringen wusste.
Es war jedoch nicht bloss ein technisches Bedürfniss
der Kunst, das zu einer solchen Darstellung der Natur
führte. Diese Auffassung war vor allem durch die Re-
ligion dargeboten, der zufolge das Göttliche durch die
ganze Natur verbreitet war: Erde und Meer und Fluss
und Berg und Wald und Stadt, jedes hatte seine Gott-
heit; die Götter aber hatten menschliche Gestalt. Also
da die Religion selbst künstlerischen Charakter hatte,
musste um so mehr die Kunst religiös sein und es ihr
nahe liegen, die Erscheinungen der Natur durch die Bil-
der der Götter vor Augen zu stellen, auf deren Walten
dieselben zurückgeführt wurden.
Da nun aber die christliche Kunst dieselbe Methode
befolgte, nahm sie auch mythologische Vorstellungen von
1) Zur Rechtfertigung desselben S. Tölken Ueber das versch.
Verhältniss der antiken und modernen Malerei zur Poesie. Berlin.
1822. S. 6. 25. vergl. S. 18. 12.
2) Vergl. oben Th. l. S. 75 f.