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Verhältniss der
höfischen Gesellschaft zur
Kunst.
kommt eine schwärmerische Verehrung der Frauen. Stets ist der
Ritter bereit, für den Schwächeren einzustehen, Recht und Gerechtig-
keit nach bestem Wissen und Können zu vertheidigen. Aufrichtig
fromm setzt er sein Hab und Gut, sein Leben selbst daran, die heiligen
Stätten des Christenthums wieder den Händen der Ungläubigen zu
entreissen. Dass neben diesen Lichtseiten auch Schatten bemerkbar
sind, ist ja nicht zu läugnen, aber ebenso wenig kann man es in Abrede
stellen, dass die ritterliche Gesellschaft im grossen Ganzen sich hohe
erhabene Ziele gesteckt hatte, dass trotz aller Schwächen und welche
Zeit wäre frei von ihnen ein hochidealer Geist in ihr lebendig ist.
Eine solche Zeit war wie geschaffen dazu, eine grosse Kunst-
entwickelung zu erwecken und zu fördern. Die Künstler fanden für
ihre Leistungen die dankbarste Aufnahme; was sie schaffen, das wird
nicht als ein im Grunde überflüssiger Luxus angesehen, sondern kommt
einem wirklich vorhandenen Bedürfnisse entgegen. Man beeifert sich,
ihnen die Mittel zur Verfügung zu stellen, damit sie ihre Arbeiten
möglichst schön ausführen, und ist dieselbe dann beendet, so wird sie
auch geschätzt und bewundert. Das gilt nicht allein von den Werken
der Baumeister, Bildhauer und Maler, sondern im gleichen Grade für
die Leistungen des Kunsthandwerkes. Dass unter solchen Umständen
die Kunst erblühen musste, kann nicht wunderbar erscheinen. Aber
der Charakter der Zeit prägt sich auch den Kunstschöpfungen auf;
nirgends sehen wir da kleinliche Formen, immer ist der Künstler be-
strebt, seinem Werke eine möglichst vollendete, ideal schöne Gestalt
zu geben. Meines Dafurhaltens hat in Frankreich wie in Deutschland
damals die bildende Kunst ihren Höhepunkt erreicht, wie zwei Jahr-
hunderte später den Italienern ein gleicher Erfolg beschieden war.
Auch Italien war genussfroh und nahm es, sobald es sich um die
Freuden des Lebens handelte, nicht so ängstlich mit der Moral; es war
ebenso kunstbedürftig, nur waren seine Ideale andere, als die zur Zeit
der Minnesinger die höfische Gesellschaft beseelten. So ist denn auch
die italienische Kunst eine andere geworden; aber wenn wir an deren
herrlichen Erzeugnissen uns erfreuen, dann sollten wir nicht vergessen,
dass diesseits der Alpen es zwei Jahrhunderte gegeben hat, welche
Kunstwerke hervorgebracht haben, die sich den italienischen wohl an
die Seite stellen lassen. Nicht im fünfzehnten und sechszehnten Jahr-
hundert, sondern im zwölften und dreizehnten sind in Frankreich und
Deutschland die Werke entstanden, auf welche beide Völker in Wahrheit
stolz zu sein vollberechtigt erscheinen.