Volltext: Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger (Bd. 1)

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VTI. 
Derbheit 
Scherze 
Mor: 
ulität 
Romanhelden. 
möglich waren, die weit über die freiesten Erzählungen bei Boccaccio 
hinausgehen. In dieser Derbheit liegt ein gewisses Gegengewicht gegen 
die himmelnde Düftelei über die Liebe; sie ist jedenfalls eher zu er- 
tragen, sittlicher, als eine gewisse süssliche Auflhssung, die verfäng- 
liche Situationen schildert, denselben aber dann das Bedenkliche neh- 
men will 1).  Schwer begreiflich bleibt trotzdem doch noch manches. 
So wie einige der vorzüglichsten Helden, beispielsweise Gawein, sich 
betrugen, das galt damals wie heute für unschicklich,  geradezu für 
verwerflich, und doch stellen die Dichter sie als musterhafte Caveliere 
dar; es muss doch für einen Ritter zum guten Tone gehört haben, 
sich über Inanche Vorurtheile hinwegzusetzen. Und wenn am Hofe 
des Artus unter der höfischen Gesellschaft par exellence, die Damen 
einer Keuschheitsprobe unterworfen werden, besteht sie keine der- 
selben. Als die Meerfee (Lenz. 5835 ff.; cf. Lanceloet lll, 12506) den 
1) Blanchefleur geht des Nachts zu Perceval, ihm ihre Noth zu klagen (Pere. 
3144: Mantel de soie taint en graine A afuble sour sa cemise), und sagt zu ihm 
(3175): ,.,Por Dieu vos proi et por son iil Que vous ne me tenes por vil, De ce que je 
sui venue, Por ce que je sui presque nue. Je n'i pensai onques folie Ne mave- 
stie ne velounie." Er nimmt sie ins Bett und sie schlaft bei ihm bis zum Morgen. 
Als sie sich das zweite Mal Wiedersehen, wiederholt sich die Sache, 25020: La 
puciele ne s'oublie, Ains est levee sans arrest; -I- blanc plieon d'ern1ine vest, Si 
est fors de son lit issue, Au lit Perceval est venue Tote seule sans cameriere; Le 
couvertoir a trait arriere Si est les son aine coucie. Und als die Hochzeit am 
nächsten Tage stattfinden soll, schläft Pereeval mit dem alten Gornumanz, ihrem 
Onkel, und seinen vier Söhnen in einer Stube, trotzdem kommt sie „en ehemise 
et en mantel nue" an das Bett ihres Bräutigams, der sie natürlich unter die 
Decke nimmt „de Paeoler et du baisier Se pueent_ il bien aesier; Car du sorplus 
n'i ot-il point, Ains voellent atendre le point Que il puisent sanz vileine Avoir 
ensainble compaignie" (Gerberts Interpolation, Potvin V, 199).  Auch Flore 
schläft mit Blansehefior in einem Bette und treibt allerlei Scherze mit ihr (Flore 
6097) „ane daz einige spil, Daz lihte ein törper haben wil Für daz beste an der 
minne, Daz er von siner friundinne Iendert gewinnet Und durch niht enminnet, 
Wan durch ein biligen." Walther würde sagen: was hoeret oueh geloube zuo."  
Sigune lässt sich vor Schionatillander nackt sehen, ehe er auf bricht, das Bracken- 
seil zu suchen (Tit. 1250), und wiederholt diese Gunst vor seinem Zuge in die 
Heidenschaft (2503): ,Ein vel daz was von teseal (D12: teseat) der siden Daz hienc 
sie für die brune, Die Wipheit wolt er gerne von ir leiden." Im Kampf gegen 
die Sarazenen gedenkt er daran (4104).  Der Dichter des Titurel hat offenbar 
eine Vorliebe für zweideutige Anspielungen. 2477 ff. bezichtigt er Sehionatulan- 
der, seine eigene Schwester öffentlich besehlafen zu haben, denn er habe sich 
mit dem Pater noster als Gottes Kind bekannt, und auch die Tugend, die er von 
Jugend an geminnet, sei eine Tochter Gottes!  Da ist es doch wahrhaftig bes- 
ser, wenn Couci sich nach seiner Geliebten sehnt und ausruft (66331): „.lhesus 
doinst que la puisse voir Et nue entre mes bras tenir."
	        
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