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Anstandsregeln.
zu schnell zu essen, dem Genossen nichts fortzunehmen 1), sondern für
sich zu essen, dazu wird besonders ermahnt; auch soll man, Wenn der
Nachbar rechts sitzt, mit der linken Hand essen. Es ist unschicklich
mit beiden Händen zu essen, mit Anderen zugleich in die Schüssel zu
langen. Wenn das Waschwasser herumgereicht wird, sollen die
Knechte und die Jungherren abseits gehen und sich anderswo die
Hände Waschen. Thomassinfs Ermahnungen sind gewiss nicht übel,
und gar zu schlimme Unarten rügt er ja auch nicht. Das thut aber
„des Tanhausers Hofzucht" und noch mehr die „Wiener Tischzuchtf").
Es mag ja angemessen gewesen sein, den Leuten einzuschärfen, ihre
Hände recht sauber zu halten, vor allem die Nägel kurz zu beschnei-
den, damit sie beim Zulangen in die gemeinsame Schüssel nicht ihren
Essgenossen das Mahl verekelten. Dass man sie aber ermahnen muss,
nicht mit blosser Hand die Kehle zu jucken, sondern lieber einen
Gewandzipfel zu nehmen, während des Essens nicht die Nase zu säu-
bern, sich an den Augen oder in den Ohren zu schaffen zu machen,
das wirft gerade kein gutes Licht auf die Erziehung der damaligen
Edelleute. Wenn ihnen aber gar gesagt werden muss, es schicke sich
nicht, dass sie bei Tische sich in die blosse Hand schneuzenil) oder
das Tischtuch zu diesem Zwecke benutzen 4), so können wir uns eine
solche Hofgesellschaft doch nur als aus ziemlich gemischten Elementen
zusammengesetzt denken. Jedenfalls waren die Leute (setzen wir einmal
voraus: die Landedelleute, die ja auch gelegentlich zur Tafel gezogen
wurden) an so bäurische Sitten gewöhnt, mit blosser Hand ins Salz-
fass zu greifen, ihres Nachbarn Löffel zu brauchen, das Brotstück, mit
dem sie die Schüssel austunken, abzubeissen und wieder zu brauchen,
aus der Schüssel direct zu schlürfen oder mit dem Finger sie auszu-
wischen, sich auf den Tisch aufzustützen, dabei zu schnaufen, zu
1) Im Chastiement des Daines (5015,; a. a. O. 200) legt Robert de Blois den
Damen ans Herz: „Wenn ihr mit einem andren gemeinsam esst, so schiebt ihm
die besten Bissen zu; sucht euch nicht die besten und grössten Stücke für euch
aus, das ist nicht anständig. Und man sagt, (lass bei Gierigkeit man keinen guten
Bissen essen kann; denn er ist entweder zu gross oder zu heiss. An dem zu grossen
kann man ersticken, und an dem zu heissen sich verbrennen."
2) Beide herausgegeben von M. Haupt in der Ztschr. f. deutsch. Altth. VI,
488. VII, 174.
3) Tanh. Hofzucht 129: Swer 0b dem tisehe sniuzet sich, Ob er ez ribet in die
hant, Der ist ein gouch, versihe ich mich.
4) Chastieinent des Dzunes 519 (Meon, Fabl. II, 200): Gardez que voz iex
n'essuez A cele foiz que vous bevez, A 1a. nape, ne vostre nez, Quar blasmäe mouh;
en serez.