Volltext: Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger (Bd. 1)

Anstandsregeln. 
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zum Singen habt, so singt laut. Schön zu singen an gehörigem Orte 
und zu rechter Zeit, ist eine sehr angenehme Sache. Aber wisset, durch 
zu vieles Singen kann man erreichen, dass ein recht schöner Gesang 
gering geachtet wird. Darum sagen manche Leute, gute Sänger lang- 
weilen oft. Bei allen Dingen giebt es ein Mass, und Weise ist, wer 
sich danach richtet. Wenn ihr in Gesellschaft von hochgestellten 
Leuten seid und man bittet euch zu singen, so dürft ihr es nicht 
lassen. Auch habe ich nichts dagegen, dass ihr, wenn ihr allein seid, 
zu eurem Vergnügen singt." 
Wenn wir jene prunkvoll in den Staatsgemächern des Schlosses 
angerichteten Tafeln uns vergegenwärtigen, den Reichthum an glän- 
zenden, kostbaren Geschirren uns vorstellen, dann an die farben- 
reichen, aus den theuersten StoiTen geschnittenen Kleider der Fest- 
genossen denken, so sollten wir voraussetzen, dass auch nur die 
Wenigstens in den geselligen Formen gewandtesten Leute an einer 
solchen Gala-Tafel theilnehmen konnten. Dies scheint jedoch keines- 
wegs der Fall gewesen zu sein. In den Anweisungen zur guten Sitte 
wird da oft vor Unarten gewarnt, die heute der gemeinste Mann sich 
kaum zu Schulden kommen lässt. Die Regeln, die Thomassin von 
Zirklar im wälschen Gaste (474 ff.) giebt, mögen vielleicht nicht gerade 
für die Hofgesellschaft bestimmt gewesen sein, aber: dass er die Leute 
im Auge hatte, welche wir heute als gebildete bezeichnen, das kann 
gar nicht in Frage kommen. Und was legt er ihnen ans Herz? Der 
Wirth soll sorgen, (lass alle Gäste genug haben, und nicht Ge- 
richte bringen, welche die Gäste nicht essen. Die Gäste aber 
sollen bescheiden und mit dem Gebotenen zufrieden sein 1). Man 
soll nicht vor dem ersten Gerichte das Brot aufessen 3), nicht 
mit beiden Händen stopfen, nicht trinken oder sprechen mit vollem 
Munde 3). Es schickt sich nicht, sich zu seinem Nachbar zu wen- 
den und ihm den Becher zu bieten, während man ihn selbst noch 
am Munde hat. Beim Trinken soll man in den Becher sehen; nicht 
1) Wvgl. Der Thgenthafte Sehriber XII, 2 (HMS. II, 153): Die alten spvrüche 
sagent uns daz: swes brot man ezzen wil, Des liet sol man ouch singen gerne unt 
spilen mit vlize, swes er spilt. 
2) Vgl. Le castoiement d'un lääre ä son iils 67 (Mäon, Fahl. II, 162) 67: quant 
tu auras tes mains lzwäes Et ä 1a toaille essuiäes Et seras ä 1a. table asis, Et li 
peins ert devant toi mis, Tu ne te doiz pas trop haster Ains ke tu aies ä mengier: 
Quar Pen diroit tot in estrox Que tu seroies fmueillox. 
3) Vgl. Le castoiement etc. (a. 21.. O.) 83 ff.  Chastienlent des Dames 409 
(a. a. O. 200).
	        
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