XIV
Vorrede.
meine Vorgänger glaube ich den Vorrath derselben nicht unbedeutend
gemehrt zu haben. Wie viele neue Denkmäler sind, seit Büsching,
selbst seit Weinhold schrieb, ans Licht gezogen, veröffentlicht worden,
und jedes derselben hat mehr oder weniger mein Material bereichert;
welche neuen trefflichen Hülfsmittel stehen uns heute zu Gebote! Ich
nenne nur das Mittelhochdeutsche Wörterbuch von Benecke-Müller-
Zarncke, dem ich gar viel verdanke, das mich oft auf übersehene
Belegstellen aufmerksam gemacht hat. Besässen wir ein ähnliches
Werk über die französische Sprache des Mittelalters, mir wäre die
Arbeit um vieles erleichtert worden. Könnten wir Wenigstens sagen,
dass alle Werke der deutschen, der französischen Literatur schon
in Ausgaben vorliegen, dass es möglich ist, den ganzen Vorrath
wirklich zu übersehen und auszubeuten! Aber leider ist dies nicht
der Fall, und doch kann man nicht wissen, ob nicht gerade diese
noch nicht publicirten Werke, ihr poetischer Werth sei welcher er
Wolle, manche Dunkelheit aufzuhellen, unser Wissen gerade auf dem
Gebiete der Sittengeschichte bedeutend zu mehren im Stande sind.
Auf den unbestimmten Zeitpunkt, wo dieser Wunsch in Erfüllung
geht, zu warten, erschien mir doch gewagt; jedenfalls ist uns die
Mehrzahl der Quellen zugänglich, und wenn die neuen Publicationen
in der That Neues bringen, nun dann wird ein späterer Bearbeiter des
Stoffes wenigstens die Wege einigermassen geebnet finden, um ein
besseres Werk an die Stelle meiner Arbeit zu setzen. Hugo von
Trimberg
klagt
allerdings
(Renner
17060):
,Ich han vernomen und ist mir leit,
daz werltlich böse kündikeit
S0 gar swinde m1 widerleit
Einveltiger lere gerehtikeit,
Daz die die hohe meister waren
Vor drizzich oder vierzich jaren
Bi dirre Werlde niht entöhten,
Ob sie nu lebten und möhten
Ir kunst fürbringenf
Aber eine so beschränkte Auffassung wird
jetzt wohl hoffentlich Keiner
mehr
theilen.
Breslau,
Ende
Juli
1879.