Vorrede.
möglich, ihre Angaben zu controliren: niemals habe ich eine Unwahr-
heit bei ihnen constatiren können. Von den fabelhaften Thaten ihrer
Helden müssen wir selbstverständlich ganz- absehen. Sie schildern
wahrheitsgetreu, aber sie schildern auch nur einen gar kleinen Kreis.
Alle ihre Romane spielen nur in den allervornehmsten Regionen; wir
haben es immer mit Kaisern, Königen, Grafen oder selten mit ein-
fachen Rittern zu thun, bekommen nur ein Bild des Hoflebens; von
dem Treiben des niederen Adels, der Bürger, der Bauern erfahren wir
nur ab und zu, aber selten Ausführliches. Deshalb war es schon durch
die Beschaffenheit unserer Hauptquellen geboten, die Schilderung auf
das Treiben der hötischen Kreise zu beschränken. Sie allein werden
als massgebend von den Zeitgenossen betrachtet; sie sind es auch
gewesen, für die die damaligen Künstler ihre besten Werke ge-
schaffen haben.
Boten nun die Romane und Epen eine so überaus ergiebige
Quelle für das Hofleben des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts
dar, so versiegt dieselbe völlig, sobald wir in das vierzehnte Jahr-
hundert eintreten. Andre, reichere, aber auch schwieriger zu beschaf-
fende Materialien müssen für die Schilderung der späteren Jahrhunderte
aufgesucht werden. War es verhältnissmässig noch leicht und ergötzlich,
die gedruckten Romane unserer Zeit durchzulesen und für unsre
Zwecke zu benutzen, so haben wir jetzt die Millionen von Einzeln-
urkunden, die ungedruckt in den Archiven, in den Gerichtsbüchern
der Städte zu linden sind, aufzusuchen, zu prüfen, zu bearbeiten. Und
ein derartiges Unternehmen dürfte wohl die Arbeitskraft eines Einzelnen
übersteigen. Erst wenn alle diese Quellen genau durchforscht sind,
einzelne monographische Bearbeitungen derselben vorliegen, erst dann
wird es möglich sein, die einzelnen Darstellungen zu einem Gesammt-
bilde zu vereinigen, die Sittengeschichte auch des späteren Mittelalters
zu schreiben. Ehe dies nicht geschehen ist, kann man gar nicht
daran denken, diese schwierige Aufgabe nur annähernd zu lösen; denn
nur mit der Beherrschung des gesammten vorliegenden und erreich-
baren Materials ausgerüstet, kann man sich an dieselbe wagen: mit
ein paar hie und da aufgerafften Notizen schreibt man keine Cultur-
geschichte. So wird wohl noch eine geraume Zeit vergehen, ehe dies
möglich wird, zumal da selbst an die Vorarbeiten bisher nicht Hand
angelegt worden ist. lch habe es vorgezogen, nur den Zeitraum