Volltext: Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger (Bd. 1)

Kinder zu haben, an denen man sich, so lange man lebt, erfreuen, 
denen man dereinst sein Besitzthum vererben kann, das ist ein 
Wunsch, den wohl von jeher alle Eheleute gehabt haben. Je bedeu- 
tender das Erbe war, um so weniger wünschte man, dass dasselbe in 
die Hände von Seitenverwandten oder gar von Fremden überging, 
und häufig wird in unseren Romanen von Königen und Fürsten erzählt, 
die alle möglichen guten Werke vollbrachten, Almosen reich spendeten, 
Wallfahrten unternahmen, nur um des lange versagten Kindersegens 
theilhaftig zu werden. Starb der Mann und sein Nachlass kam in 
den Besitz der Verwandten, so wurde die kinderlose Witwe meist 
ihren Angehörigen zurückgesendet oder war auf ihr Wittum und die 
Güte der Erben angewiesen. Erklärte sie dagegen bei dem Tode 
ihres Gemahles, dass sie ein Kind von demselben unter ihrem Herzen 
trage, so war sie den Verfolgungen der um die Erbschaft betrogenen 
nächsten Anverwandten erst recht ausgesetzt und konnte sich vor 
deren böswilligen Verläumdungen nur dadurch schützen, dass sie 
heroisch dieselben durch den Augenschein von der Wahrheit ihrer 
Angaben überzeugte 1). 
1) Henricus Mzxrchio de lleburg sonior, pater hujus (sc. Henrici Marchionis 
Misnensis T 1127), uxorem praegnantem fertur moricns reliquisse. Quod cum illa, 
in sopultunu ipsius, utero tumenti denlonstrzxto, praesentibus indicasset, quia Con- 
nndus Comes (de Wetin) Marchionis mortui haeres futurus emt, si filium non re- 
liquisset, quidam ministraliunl ejus hujusmodi runloreln divulgaverunt, quod ipszb 
plumatio ventri alligato, laraegnanteln se esse hoc artificio mentiretur. Quo illu. 
cognito, die quadam universis nmriti sui ministerialibus convocatis, in medio ipso- 
rum in loco eminenti astans, devoluto ex hun1eris ad nahes pit11i0, nlldülll S8 Osten- 
dit, dicens: ut ipsi, an vere gravida esset judiczmrent. Postquam vero enixzh 885, 
rursus illi talem sparserunt rumorenl, quod feminam peperisset, eamque pro ülio 
cujusdann pauperculae, quae maritum habebat cocum, quae et ezndeln hora. pepe- 
rerat, commutasset. (Chronicon Montis Sereni ad a. 1125.)  Ein Sohn des Königs 
Stefan von Ungarn hinterlässt eine Wittwe, die Schwester des Markgrafen von
	        
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