war an der Hand der Kirche gross gezogen worden, und als sie
später ihre Amme entbehren konnte, verleugnete sie niemals ihre
kirchliche Erziehung und ihren religiösen Charakter. Daher kommt
es denn, dass die Profan-Architektur, wo sie als Erbauerin von
Burgen, Schlössern, Palästen, Raths- und Zunfthäusern, Patrieier-
Wohnungen auftritt, in ihren ernsten gehaltvollen Formen überall
die deutlichsten Reminiseenzen an ihren Lehrmeister, den Kirchen-
bau, durchblicken lässt. S0 war auch die Weberei schon früh bei
ihrer ersten Entwickelung durch die Kirche in Sold genommen
Werden und dieselbe hatte nicht unterlassen, bei umfangreichem
Bedarf M1 kOSCbIIYCH StOffen, auch der Weberei, die sich von
den orientalischen Einflüssen zu befreien gewusst hatte, jene Zeich-
nungen und Muster zu dictiren, die mit den liturgischen Hand-
lungen in Beziehung standen.
Es ist daher erklärlich, dass zu einer Zeit, wo Kirche und Haus
vereint Hand in Hand gingen, zu Privat- und öffentlichen Zwek-
ken Seidenzeuge vielfach in Anwendung kamen, die in ihren Zeich-
nungen ähnlich wie in den Abbildungen auf Taf. XI, XII, XIII,
einen durchaus religiösen streng kirchlichen Charakter trugen. 1)
Durch das im Vorhergehenden Gesagte soll indessen nicht die
Ansicht geltend gemacht werden, als 0b die Seidenindustrie im
XIV. Jahrhundert bloss ausschliesslich die Bildweberei in Dienst gehal-
ten hatte; unsere Sammlung enthält eine grosse Zahl von Mustern älte-
rer Originalstoße, mit animalischen so wie auch vegetabilischen Bildun-
gen, die in den industriellen Städten des nördlichen Italiens, zu re-
ligiösen und weltlichen Zwecken, zu einer Zeit angefertigt werden
sind, wo aus denselben Manufacturen in grossen Massen kostbare Ge-
webe mit den oben beschriebenen bildlißhßn Darstellungen hervorgin-
gen. Noch immer aber erscheint in diesen schweren Goldbroqaten um
diese Zeit das Ptlanzenornament nicht isolirt und frei, sondern das
"Bestiaire" wird noch immer als beliebte Verzierung mit zu Hülfe
Heute beherrscht an vielen Orten umgekehrt die Profnnkunst das kirchliche
Gebiet; so hat besonders seit den Tagen Josephis II. die lärmende T1163-
termusik mit ihren Blech-, Pauk- und Streich-Instrumenten sich in der Kirche
eingenistet. Der einfache gregorianische Choral (cantus firmus), der in unsern
gothischen Dornen grossgezogen worden ist, und dessen Gravität mit dem Ernste
derArchitektur und der Würde der liturgischen Handlung treiilich hßrInQnh-f,
hat nicht selten den weichen und tändelnden Tönen einer üppig gewordenen
Concertmusik leider das Feld räumen müssen; so haben auch die liturgischen
Gewänder und die dazu gebrauchten Stoffe durch den modernisirenden Ein-
üuss der Profankunst im XVI. Jahrhunderte ihre Würde und kirchlichen Cha-
rakter fast gänzlich eingebüsst, wie das in einem spätem Abschnitte deutlicher
veranschaulicht werden soll; daher erblickt man häufig am Altare StolTe,
die als Möbelzeugc einem noblen Damensalon alle Ehre machen würden.
i" Liturgische Gewänder. 5