Volltext: Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelalters oder Entstehung und Entwicklung der kirchlichen Ornate und Paramente in Rücksicht auf Stoff, Gewebe, Farbe, Zeichnung, Schnitt und rituelle Bedeutung nachgewiesen und durch zahlreiche Abbildungen erläutert (Bd. 1)

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weisen. WVeil aber so schnell im Norden Italiens die Seidenma- 
nufactur, deren Einführung nicht ohne Ueberwindung grossertech- 
nischer Schwierigkeiten vorgenommen werden konnte, sich zu he- 
ben begann, Weil ferner lange Jahre hindurch mit geringen M0- 
dificationen sich arabische Zeichnungen in den italiänischen Fabri- 
caten erhielten, und selbst kuflsche Inschriften in denselben eine 
nicht unbedeutende Rolle spielen, so möchte wohl obige Annahme 
nicht unbegründet erscheinen. 
Auch in Bezug auf Material, YVebeart und Farbenwahl ist 
das auf Tafel VIII mitgetheilte Gewebe merkwürdig. Die Farbe des 
Stoffes neigt sich vom Blau zum Violet; die Zeichnung bildet sich 
durch Einschlag in Silberfäden, die auf die oben angegebene alte 
Weise präparirt sind, d. h. um einen stark gezwirnten Leinenfatlen 
ist das im Obigen naher beschriebene Häutchen, auf der einen 
Seite versilbert, gesponnen. 1) 
Ein zweites, nicht minder interessantes Gewebe in rothem 
Goldbrocat zeigt Tafel IX. Die Hexagone, die den Stoff netz- 
artig durchziehen, die zarte und delicate Bildung des Ürnamentes 
lassen Wohl das phantasiereiche Talent eines arabischen Colnponi- 
sten durchschimmern; die Technik des Gewebes selbst indessen, 
so wie die Hirsche, die in dem  geben fast mit 
Sicherheit dieses Gewebe als eine gelungene Nachahmung durch 
christliche lllanufacturisten zu erkennen. Betrachten wir, auf der 
letztern Annahme fussend, die Zeichnung näher, so würde man das 
in Frage stehende Gewebe nach der Analogie unseres früher oft, 
citirten Anastasius Biblioth. als "pannus sericus cum historia cer- 
vorum" bezeichnen. 
Behält die obige Ansicht in Bezug auf die Herkunft des vor- 
liegenden Gewebes Geltung, so würde wohl eine symbolische Deu- 
tung der Hirsche zulässig erscheinen, zumal dieser ügurirte Da- 
mast an einem alten sehr schadhaften liturgischen Gewandstüek 
sich vorfand. 
Der Hirsch ist ein altes, in der christlichen Kirche sehr be- 
kanntes Symbol Q) und bedeutet die Gott liebende Seele oder die 
Seele des Menschen, die nach Ruhe und Frieden schmachtet. 
Obgleich dieser Stoff, der sich an einem Reste einer alten Pluviale befand, 
bereitß über 500 Jahre all: ist, hat der Silberfaden doch noch nicht den 
schwärzlichen Hauch angenommen, der sich bei den modernen theuern Kir- 
chenstoHen schon nach wenigen Jahren unausbleiblich einstellt: ein Beweis 
von der Solidität mittelalterlicher Versilberung. 
Vergl. Kreuser "Der christliche Kirchenbau etc." II. Bd., S. 182.
	        
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