45
Richtungen hin und liessen sich da nieder, wo es zu bauen gab.
Das Volk nannte sie in seiner naiven Weise „die Quartiermacher
des lieben Hergotts" (les logeurs du bon Dieu). 1)
Auf diese Weise schmückte sich das Abendland im Laufe
zweier Jahrhunderte mit einem Kranze der herrlichsten Kirchen-
und Klostergebäude. Natürlich musste mit der äussern und in-
nern prachtvollen Ausführung dieser Tempel auch die Ausstattung
der priesterlichen Gewänder und der kirchlichen Gefässe im Ein-
klang stehen; der Frommsinn des Mittelalters war nämlich stets
darauf bedacht, auch bis zum Kleinsten hin, dasjenige würdig aus-
zuschmücken, was die Feier der Geheimnisse der Religion ver-
herrlichen half; wie hätte es daher jene priesterlichen Ornate aus-
zustatten vernachlässigen können, die zu dem Altar und dem h.
Opfer in unmittelbarer Beziehung standen?
Daher finden wir denn im XIII. Jahrhunderte in jener Zeit,
wo die Geistlichkeit, der hohe Adel und das Volk mit einem
Hochgefühl auf die eben vollendeten mächtigen Kathedralbauten
herabsellell konnte, bei Bischöfen, Fürsten, Rittern und Patriciern
einen edeln WIetteifer, die Würde des Gottesdienstes (lurch reiche
Geschenke an kostbaren Stoffen und Gewändern zu heben.
Mit der Zunahme der Kirchen, Klöster und Abteien, denen
reiche Schenkungen, weise Sparsamkeit und nüchternes Leben die
Mittel zum Aufwande bei Verherrlichung des Gottesdientes ge-
währten, einerseits, und der steigenden Prachtliebc des Adel und
der Bürgerschaft andererseits waren die Erzeugnisse der orienta-
lischcn, sicilischen und spanischen Webereien für den Bedarf des
Abendlandes bald nicht mehr ausreichend.
Daher tritt denn auch als ein Bedürfniss der Zeit, angelockt
durch den reichen Gewinn, den die Seidenindustrie gewährte, kaum
hundert Jahre nach Einführung derselben in Sicilien im Norden
Italiens ein neuer nicht unbedeutender Concurrent auf, der bald
den alten Monopolisten gefährlich zu werden droht.
Lucca nimmt vor allen andern Städten des nördlichen Italiens
die Ehre in Anspruch, schon in der Mitte des XIII. Jahrhunderts
die Seidenmanufactur im Bereiche seiner Ringmauern zu hoher
Blüthe gefördert zu haben.
Die "pailes d'Adria" erlangten schon frühe Berühmtheit. Aus
einem Rathsbeschluss, den Zanetti 2) mittheilt, geht hervor, dass
3
La cathädrale de Chärtres par M. Pabbei Bulteau, page 20_ Paris 1350,
JICCXLVIII iud. VII, die XIV exeunte Septembri, capts. fuit pars in Con-
cilio mujori et ordiuatum de illis qui preerunt ad recipiendum rectum neu