GESCHICHTLICHER ENTWVICIKELUNGSGANG
DER YVEBEREI ZU KIRCHLICHEN ZWECKEN
VOM
XII.
JAHRHUNDERTE.
Gleichwie mit Justinian im VI. Jahrhunderte die Seidenmanu-
factur im weströmischen Reiche in Aufnahme" kam, so beginnt mit
Roger, König von Sicilien, wie das noch heute allgemein Annahme
ist, der Zeitpunkt, in welchem zuerst im südlichen Italien der fast
geheimnissvolle Schleier, worin die orientalische Seidenmanufactur
sich bisher einzuhüllen gewusst hatte, gelichtet und bald darauf
auch dem übrigen Italien ein Industriezweig zugeführt wird, der
schon ein Jahrhundert später als eine der Hauptquellen seines
materiellen WVohlstandes sich herausstellt.
Wie dieses geschehen ist, berichtet uns genauer Bischof Otto
von Freisingen, der bekannte Biograph Friedrichs I. Er sagt
nämlich, dass Roger 1) auf dem bekannten Zuge gegen Griechen-
land Korinth, Theben und Athen erobert habe und dass er zu-
gleich mit einer ungeheuern Beute auch jene Künstler mit sich in
Gefangenschaft fortgeführt habe, die sich mit Anfertigung von Sei-
denstoifen beschäftigten. Diese habe er dann nach Palermo ge-
bracht und sie angehalten, die Seinigen mit der Kunst des WVe-
bens vertraut zu machen, und so sei diese Kunst, vormals unter
Christen nur allein von den Griechen ausgeilbt, auch den Lateinern
zugänglich geworden.
Dieses auch von griechischen Schriftstellern 2) gleichzeitig do-
cumentirte Factum der Verpflanzung der Seidenmanufactur aus
Griechenland nach dem Süden Italiens fallt in das Jahr 1146 und
1147, und wird auch von Heeren 3) als ein durch die Kreuzzüge
herbeigeführtes glückliches Ereigniss betrachtet. Indessen schon
der gelehrte italiänische Geschichtsforscher Amari, dem auch M.
Wenrich in seiner Schrift: "Die Araber in Italien und den anlie-
genden Inseln". beipflichtet, nimmt Anstand, das Jahr 1147 als das
1) Ottonis Frising. episc. de Gestis Fridelici I. lib. prim. cap. XXXIII
Rerum Ital. Script. uom. V, col. 668, C.)
2) Griechische Schriftsteller geben an, dass Roger Friede mit dem Kaiser Alexis
geschlossen und die griechischen Gefangenen herausgegeben hätte; nur wären
Korinther und Thebaner von unbekannter Herkunft und auch Solche zurück.
behalten worden, die geschickt in der Kunst des Webens gewesen seien. dm,
unter hätten sich Frauen und Männer befunden. ,
Nicetae Choniatae de Manuele Comneno lib. II, cap. 8. (Ed. Fahr. pag.
65, B edit. Bekker. pag. 129, lin. 14.)
3) A. H. L. Heeren über den Einfluss der Kreuzzüge.
Liturgische Gen-Inder. 3