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Völker über den Garten Italiens erniedrigt wurde, desto mehr
sank auch die Ausübung der verschiedenen freien Künste unter
dem Drucke dieser schweren, eisernen Zeiten. Mit Romulus
Augustulus endigte in Rom die Reihe der letzten Schattenkaiser
und nahm mit dem Aufhören des römischen Namens die Barbarei
in Kunst und WVissenschaft in der Tiberstadt, die bis zu dieser
Zeit als die Leuchte der Bildung in Europa gegolten hatte, der-
maassen überhand, dass bei dem steten Wechsel der Italien über-
fluthenden Völkersehwärme das alte Rom hinsichtlich seiner
Sprache, seiner Sitten, seiner Gebräuche und sogar seiner Kleidung
innerhalb hundert und fünfzig Jahren in vieler Beziehung ein fremd-
artiges, ein barbarisches geworden war. Nur allein die Kirche
dürfte bei diesem steten Wechsel der Sitten und der Kleidung
in ihren liturgischen Gewändern die letzten Spuren des ältern
klassischen Römerthums wenn auch nicht ganz unverletzt beibehalten
haben. S0 mochte es gekommen sein, dass im VII. Jahrhundert,
nach Ablauf der Vülkerwanderungen, die kirchliche Gewandung
sich als eine besondere und eigenthümliche herausstellte, die jetzt
abweichend und eigenthümlich von jenen Profangewändern be-
funden wurde, wie man sie im öffentlichen und Privatleben in Rom
und dem übrigen Italien zu tragen püegte. Man darf es hier
nicht unterlassen, hervorzuheben, dass selbst diese liturgischen Ge-
wänder, die nach Ablauf der Völkerwanderung die Kirche als
eigenthümliche und überlieferte beibehalten hatte, immerhin Einwir-
kungen der spätern Ausartung und des Verfalles der klassisch-rö-
mischen Kunst in sich aufgenommen und nicht wenig unter dem
Einflusse jener fremdländischen, barbarischen Formen gelitten hatten,
die bei den Kriegen und Drangsalen zweier Jahrhunderte in Rom
abwechselnd aufgetreten waren. Eine kleinere Modiücation der
kirchlichen Gewänder in Hinsicht des Stoffes und des Schnittes dürfte
auch deswegen sich allmälig eingestellt haben, weil der Missbrauch
sich frühe schon, wie oben bemerkt, einstellte, dass Diakonen und
Presbyter in den ersten drei Jahrhunderten im Privatleben sich zu-
weilen jener Gewänder bedienten, womit sie auch bei Begehung der
h. Geheimnisse bekleidet waren. Dass dem so der Fall war, be-
zeugen die Verbote, die, wie vorhin schon gesagt, von Seiten der
Vorsteher der Kirche seit den Tagen des Papstes Stephanus bis
auf spätere Synoden und Concilien gegen das Tragen der litur-
gischen Gewänder auch im profanen Gebrauche erlassen wurden.
Das älteste dieser Verbote gegen das vermischte Tragen der h.
Gewänder bei gottesdienstlichen und zugleich bei profanen Veran-
lassungen finden wir bei Anastasius Bibliothecarius in der Le-