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ringsten Anstoss daran genommen hat, heidnische Kunstwerke eben
durch Herübernahme zum christlichen Gottesdienste zu reinigen
und zu weihen. Gleichwie also im ersten Jahrhundert einzelne Paläste
reicher römischer Patrizier als kirchliche Versammlungslocale sich
den bedrängten Christen darboten, gleichwie ferner kostbare und
kunstreiche Gegenstände des bürgerlichen Lebens nicht selten auch in
gottesdienstlichen Gebrauch herübergenommen wurden, so liegt es
auch sehr nahe, anzunehmen, dassauch selbst die Gewänder, deren
man sich im I. Jahrhundert der Kirche bei gottesdienstliehen Ver-
richtungen zu Rom bediente, aus der unmittelbaren Umgebung der
vornehmen und reichen Römer vielfach gewählt wurden. Dem Eben-
gesagten zufolge dürften also die frühchristlichen liturgischen Ge-
wänder und Gefässe sowohl ihrer aussern Form und Gestalt, als auch
ihrer stofflichen Beschaffenheit nach zu den edelern gezählt werden,
wie sie damals in den höhern Kreisen Rom's in Gebrauch waren.
WVeiter ist es eine in der Kunstarchaologie heute fest begrün-
dete Thatsache, dass das Christenthum bei seinem ersten Entstehen
und namentlich bei seiner Ausbreitung an dem damaligen Sitze der
Vveltherrschaft, der zugleich auch der Sitz der feinern Bildung
und Kunst war, in artistischer Beziehung sich jener Formen be-
diente, wie sie damals in Rom gang und gäbe waren, mit andern
Worten: das Christenthum hatte bei seinem ersten Aufblühen, von
Feinden und Drängern aller Art umlagert, keine Zeit und Gele-
genheit, aus seinem innersten Wesen heraus sich neue Kunstformcn
entfalten zu lassen, die, vom Geiste des (Jhristenthums getragen,
von den heidnischen Profanformen, ihrem WVesen und ihrer Gestal-
tung nach, sich durchaus unterschieden. Die ersten Anfänge der
christlichen Kunst sind also, wie man das heute noch in den Ka-
takomben Ronfs und Neapels in überzeugender Weise sehen kann,
identisch mit den Bildungen aus der Verfallzeit der römischen klas-
sischen Kunst, d. h. die frühchristliche Kunst der ersten Jahrhun-
derte ist grundgelegt auf den Ruinen und dem Verfalle der heid-
nischen Kunst. Gleichwie also, dem Ebengesagten zufolge, das
Christenthum die Gerichtshallen und Basiliken des alten Roms über-
nahm und zu christlichen Kirchen gestaltete; gleichwie ferner die
Malerei und Sculptur des heidnischen Roms, wenn auch mit decenter
Auswahl, dazu verwandt wurde, um in den herrschenden Formen
der damaligen Zeit die kirchlichen Wlersammlungslocale mit christ-
liehen Symbolen zu heben und zu verzieren; gleichwie endlich
die liturgischen Gefässe für den Altargebrauch aus jenen edelern
und reichern Gelassen gewählt wurden, wie sie damals, auch ihrer
äussern Gestaltung nach, im Profangebrauche bei Vornehmern er-