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sehen Zeitalter im Gebrauch hatte, wollen wir vorher die Lösung
einiger einschlagenden Vorfragen versuchen, die dahin lauten:
bediente man sich bereits in den ersten Jahrhunderten des Christen-
thums feststehender liturgischer Gewänder bei Begehung der heili-
gen Geheimnisse, die sich von den damals gebräuchlichen profanen
Kleidungsstücken in Stoff und Schnitt unterschieden, oder trugen
vielmehr die Priester und Bischöfe der Kirche im apostolischen
Zeitalter als gottesdienstliche Gewänder jene Kleidungsstücke,
die damals die Vornehmen und Gebildeten in Rom im pro-
fanen Gebrauche anzulegen pflegten? Diese Fragen haben die
Aufmerksamkeit und den Scharfsinn gediegener Forscher in den
letzten Jahrhunderten vielfach beschäftigt. Männer von umfas-
sender Gelehrsamkeit und grossem kirchlichen Ansehen finden
wir auf jeder Seite dieser divergirenden Ansichten. Die kirch-
liche Autorität hat nach dem alten Sprüche „in dubiiS, libertas"
diese Frage, als eine offene, der Wissenschaft zur Aufhellung
überlassen.
Was den heutigen Standpunkt der oben angeregten Frage
betrifft, so muss entschieden behauptet werden, dass in neuester
Zeit, auf gründlichere Forschungen gestützt, allgemeiner in der
archäologisch-liturgischen Wissenschaft die Ansicht verwaltet,
der auch wir, nach längern eingehenden Untersuchungen unbe-
dingt beipflichten: dass in den ersten Jahrhunderten keine neuen,
dem Schnitt und der Form nach, verschiedenen gottesdienstlichen
Gewänder in der Kirche in Gebrauch genommen wurden, Sondern
dass die Diener der Kirche und ihre Vorsteher bei der Feier des
eucharistischen Opfermahles sich, der Form und dem Schnitte
nach, jener Gewänder bedienten, wie sie damals von Vornehmen
und Reichen, von Senatoren und Patriziern Rom's als Profan-
gewänder öiientlich getragen wurden. Um jedoch llIissvei-stüml-
nissen vorzubeugen, muss dem Ebengesagten hier noch hinzugefügt
werden, dass diese in den gottesdienstlichen Gebrauch herübergc-
nommenen Bekleidungsstücke feiner und reinlicher gewesen Sein
mochten, als jene Profangewänder, wie man dieselben im ge-
wöhnlichen Leben gebrauchte. Auch hat eine grosse Zahl von
einschlagenden Stellen in den Werken älterer Kirchenschriftsteiler,
die wir in dieser Frage zu Rathe gezogen haben, uns die Ueberzeu-
gung beigebracht, dass die einmal zu gottesdienstlichen Zwecken
benutzten Feiergewänder von edlern Stoffen von den Dienern der
Kirche wieder nicht in den profanen Gebrauch herüber genommen
zu werden pflegten, sondern dass sie als heilige Gewänder aus-
schliesslich der Kirche verblieben.