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ben Webstuhle auch die übrigen im Vorhergehenden beschriebe-
nen priesterlichen und hohenpriesterlichen Gewandstücke im Al-
terthume ohne Naht aus einem Stücke Entstehung finden konnten,
wie das auch das Buch Exodus an mehrern Stellen hervorzuheben
nicht unterlasst.
Eine Hauptursache, weswegen die Anfertigung von Gewän-
dern auf dem Webstuhle aus einem Stücke ohne Naht schon in
der Kaiserzeit des heidnischen Rom's ausser Uebung kam, ist
einfach darin zu suchen, dass, begreiflicher Weise, zur Anferti-
gung runder nahtloser Gewänder bedeutend mehr Zeit und Kosten
erforderlich waren. So vernehmen wir aus einer Stelle bei
Cicero, 1) dass zur Vollendung eines solchen hIatronen-Gewandes
ein Zeitraum von 3 Jahren erforderlich war, um es in der eben
bezeichneten Weise ohne Naht auf dem Webstuhle zur Aus-
führung zu bringen. Demselben Schriftsteller 2) zufolge war
es durch Gesetz vorgeschrieben, dass ein einfaches Gewand
ohne Naht in Monatsfrist vollendet QSGlD musste. Die An-
fertigung reicherer und kunstvollerer Gewänder ohne Naht
erforderte aber, je nach ihrer Feinheit, längere Arbeitszeit, und
ist, aus'einern Citat bei Nonius zu entnehmen, dass zur Aus-
führung einer reichern, kostbarern Toga in dem ebengedachten
Verfahren oft eine Arbeitszeit von zehn Jahren erforderlich war,
Rechnet man zu dem kostbaren und feinen Material, woraus die
goldenen Gewänder des Hohenpriesters angefertigt wurden, auch
noch die lange Arbeitszeit, die dem Ebengesagten zufolge zur
Herstellung dieser Gewandstücke ohne Naht nöthig war, so
leuchtet es ein, dass, wie früher angedeutet wurde, die Beschaffung
der hohenpriesterlichen Gewänder grosse Summen erforderte.
Gleichwie im Mittelalter, grösstcntheils in den stillen Mauern
religiöser Genossenschaften und von frommen Frauen höherer Stände
die liturgischen Gewänder der Kirche und ihrer Diener angefer-
tigt zu werden pflegten, so war auch schon im alten Testamente
die Zubereitung und Anfertigung der gottesdienstlichen Gewänder
nicht Sache gewöhnlicher Handeltreibender und Kunsthandwerker,
sondern es war die kunstgerechte Anfertigung derselben den Hän-
den geschickter Männer übergeben, die von der h. Schrift be-
zeichnet werden als „sapientes corde et repleti spiritu dei." 3)
Cicero in Verrem actione VI.
Cicero de legib. lib. II.
Exodns, cap. XXVIII. 3: „Et loqueris cunctis sapientibus corde, quos
replevi spiritu prudentiae, ut faciant vestes Aaron, in quibus sanctificutus
ministret mihi."